Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 2 S 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB 7. Wie-Beschäftigter. Handlungsmotiv. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. zivilrechtliche Schadensminderungspflicht. fremdnützige Tätigkeit. mutmaßlicher Wille des Fahrzeughalters. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB 7. Nothilfe. subjektive Vorstellung einer Gefahrenlage: auslaufendes Benzin. Anheben eines Motorrades nach selbst verursachtem Anprall
Leitsatz (amtlich)
1. Das unaufgeforderte Anheben eines Motorrades nach selbst verursachtem Anprall steht nicht als "Wie-Beschäftigung" gem § 2 Abs 2 S 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn vorrangiges Handlungsmotiv die Verhinderung des Eintritts eines weiteren Schadens ist.
2. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens muss der Handelnde sich auf ausreichende Anhaltspunkte in den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles stützen (hier verneint bei Anheben eines Motorrades nach selbst verursachtem Anprall).
Orientierungssatz
Ein Unfallversicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe erfordert, dass der Hilfeleistende berechtigterweise eine Gefahrensituation im Sinne von § 2 Abs 1 Nr 13a SGB 7 annehmen durfte. Allein die subjektive Vorstellung des Handelnden, es bestehe eine Gefahrenlage und er wolle insoweit Hilfe leisten, kann den Versicherungsschutz nicht begründen. Die Handlungstendenz muss vielmehr durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt werden. Es müssen objektive Umstände feststellbar sein, nach denen die Einschätzung des Handelnden bei lebensnaher Betrachtung nachvollziehbar ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 10. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 31. August 2018 als Arbeitsunfall streitig.
Die 1977 geborene Klägerin war zu diesem Zeitpunkt als Servicekraft im Dialysezentrum N beschäftigt. Gegen 6:25 Uhr wollte die Klägerin auf dem Hof der Dialysepraxis mit ihrem PKW rückwärts in eine offene Garage fahren, um diesen dort abzustellen und anschließend ihre Tätigkeit als Servicekraft aufzunehmen. Sie übersah dabei ein bereits abgestelltes Motorrad eines anderen Mitarbeiters, welches umstürzte. Sie stieg aus ihrem PKW aus, um das Motorrad anzuheben. Anschließend verspürte sie starke Rückenschmerzen mit deutlichen Bewegungseinschränkungen und stellte sich beim Durchgangsarzt vor. Dieser diagnostizierte eine Fraktur des Lendenwirbelkörpers (LWK) 4. Die Klägerin befand sich deshalb vom 31. August bis 5. September 2018 in stationärer Behandlung im S-klinikum. Ein operativer Eingriff erfolgte nicht. Gegenüber der Beklagten schilderte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2018 erneut den Hergang des Ereignisses. Sie habe beim rückwärts Einfahren in die Garage das Motorrad übersehen, plötzlich einen Stoß verspürt und sofort gebremst. Sie sei ausgestiegen und habe das Motorrad auf dem Boden liegen sehen. Aus Angst, dass Flüssigkeiten wie Benzin oder Öl auslaufen könnten, habe sie das Motorrad unter Panik und Schock alleine angehoben. Schmerzen habe sie beim Aufprall sowie beim Anheben des Motorrads verspürt. Mit Motorrädern und insbesondere deren Gewicht kenne sie sich nicht aus.
Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Oktober 2018 die Anerkennung des Ereignisses vom 31. August 2018 als Arbeitsunfall ab. Zum Unfallzeitpunkt sei keine versicherte Tätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Siebter Teil (SGB VII) ausgeübt worden. Das Aufheben des umgefallenen Motorrades sei weder auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt noch habe ein Zusammenhang mit der versicherten beruflichen Tätigkeit bestanden. Das Aufheben des Motorrades sei ausschließlich aus privaten Motiven erfolgt. Der Wirbelkörperbruch könne nicht durch den Anprall des Autos auf das Motorrad verursacht worden sein. Für eine solche Fraktur sei eine erhebliche Krafteinwirkung erforderlich. Zudem wäre die Klägerin dann nicht in der Lage gewesen, das Motorrad noch anzuheben. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren stellte die Beklagte weitere Ermittlungen an. Insbesondere wurden weitere bildgebende Befunde beigezogen. Aus einem radiologischen Befund vom 4. September 2018 ergibt sich, dass bei der Klägerin eine fortgeschrittene Osteopenie verbunden mit einer erhöhten Frakturgefährdung vorliegt. Durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 2019 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Am Unfalltag habe die Klägerin den Weg zur Arbeit unterbrochen, um ein umgefallenes Motorrad wieder aufzuheben. Sie sei damit von ihrem Arbeitsweg abgewichen und habe eine private Tätigkeit ausgeübt. Der vorherige Anprall sei nicht geeignet gewesen, die Lendenwirbelkörperfraktur herbeizuführen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nordhausen erhoben. Unzweifel...