Entscheidungsstichwort (Thema)
Nierenleiden. Heimdialyse. Merkzeichen G
Leitsatz (amtlich)
Die Wegstrecken im Ostverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, betragen mehr als 1 km.
Normenkette
SchwbG § 3 Abs. 4, § 57 Abs. 1, § 58 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 12.10.1964; Aktenzeichen S 6 Vs 66/84) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 12. Oktober 1964 und der Bescheid des Versorgungsamts Mainz vom 6. Februar 1984 aufgehoben.
2. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit geht darum, ob die gesundheitlichen Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Vergünstigung unentgeltlicher Beförderung im öffentlichen Personenverkehr (sog Freifahrtvergünstigung) durch Neufeststellung des Anspruchs für die Zeit ab April 1984 nicht mehr festzustellen sind.
Beim 1948 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt als Behinderung chronische interstitielle Nephritis mit renal bedingter Hypertonie und beginnender Anämie, die MdE mit 80 v.H. und die gesundheitlichen Merkmale des die Freifahrtvergünstigung betreffenden Merkzeichens 6 (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) fest (Bescheid vom 23. Mai 1980). Den MdE-Grad erhöhte es auf 100 v.H. nachdem beim Kläger die Dauerbehandlung mit künstlicher Niere (Dialyse) notwendig ist (Bescheid vom 23. März 1983).
Mit Schreiben vom 29. Dezember 1983 teilte das Versorgungsamt dem Kläger ua mit: Bei der Ausstellung des sog Freifahrtausweises sei die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht zu prüfen, sondern gemäß § 58 Abs. 1 Satz 2 SchwbG ab einer MdE von 80 vH zu unterstellen gewesen. Wegen Aufhebung dieser Bestimmung mit Wirkung ab April 1984 sei auch beim Kläger Voraussetzung für die Freifahrtvergünstigung, daß tatsächlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr i.S.d. § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG vorliege. Dies sei bei ihm nach den ärztlichen Unterlagen nicht der Fall. Ab April 1984 gehöre er danach nicht mehr zu dem Personenkreis, der die Freifahrtvergünstigung in Anspruch nehmen kann. Es sei daher beabsichtigt, einen entsprechenden Bescheid zu erteilen, weshalb er nach § 24 SGB 10 Gelegenheit zur Äußerung erhalte.
Der Kläger erklärte dazu ua, daß nicht nur unmittelbar nach einer Behandlung durch die künstliche Niere, sondern auch am Tag darauf eine Fortbewegung zu Fuß infolge zB Kreislaufschwäche (Blutdruckabfall) oder Krampfanfällen nicht mehr möglich sei und somit längere Wegstrecken nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten für ihn oder Gefahren für andere zurückgelegt werden könnten.
Durch Bescheid vom 6. Februar 1984 stellte das Versorgungsamt unter Bezug auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 fest, daß eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr i.S.d. § 58 Abs. 1, Satz 1 SchwbG beim Kläger nicht vorliege; seine Einwendungen seien nicht dazu geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten von Professor Dr H., Direktor der Medizinischen Klinik III der Stadt. Kliniken D., vom 17. August 1984 eingeholt. Der Sachverständige ist in dem Gutachten, dessen Zwischenanamnese zufolge der Kläger – Heimdialysepatient – wöchentlich 3 × 4 1/2 Stunden dialysiert, wofür die späten Abendstunden bevorzugt werden, zum Ergebnis gelangt: Der Kläger sei nicht ständig in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr so beeinträchtigt, daß er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermöge, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Das Sozialgericht ist dem Gutachten gefolgt und hat mit dem Urteil vom 12. Oktober 1984 die Klage abgewiesen: Aufgrund der Neufassung des § 58 Abs. 1 Satz 2 SchwbG durch das HBeglG 1984, die eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB 10 darstelle, komme über März 1984 hinaus die Feststellung des Vergünstigungsmerkzeichens G nur dann in Betracht, wenn eine erhebliche Gehbehinderung tatsächlich vorliege. Das sei beim Kläger zur vollen Überzeugung des Gerichts nicht nachgewiesen.
Mit der – vom Sozialgericht zugelassenen – Berufung trägt der Kläger ua vor: Die gesundheitlichen Merkmale des Merkzeichens G seien erfüllt. Unmittelbar nach Vornahme der Dialyse befinde er sich in einem Zustand, der irgendeine Bewegung überhaupt nicht erlaube, er sei dann praktisch in einem Zustand der Hilflosigkeit. Dieser Zustand bessere sich zwar nach einigen Stunden Schlaf. Jedoch sei seine Leistungsfähigkeit weiterhin stark eingeschränkt, da es nach der Dialyse regelmäßig zu Kreislaufschwäche oder Krampfanfällen komme. Dieser Zustand bestehe nun regelmäßig an dem der Dialyse folgenden Tag und damit bei dreimaliger Dialyse in der Woche an 3 von ins...