Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. territorialer Geltungsbereich. Auslandswohnsitz. Versetzung in den Ruhestand. Verfassungsmäßigkeit. EG-Recht
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für die Schwerbehinderteneigenschaften iS des § 1 SchwbG ist ein Inlandsbezug. Der Betroffene muss seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Geltungsbereich des SchwbG haben.
2. § 1 SchwbG verstößt nicht gegen Grundrechtsnormen oder EG-Recht.
3. Bei einem Beamten, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland hat, entfällt nach Versetzung in den Ruhestand gemäß § 38 Abs 1 Halbs 1 SchwbG der gesetzliche Schutz Schwerbehinderter.
Orientierungssatz
1. Nach Art 4 EWGV 1408/71 idF vom 2.12.1996 ist der sachliche Geltungsbereich der Verordnung auf bestimmte Leistungssysteme und -arten beschränkt, die in der Vorschrift benannt sind. Eine Erweiterung über den genannten Wortlaut kommt nicht in Betracht. (EuGH vom 5.3.1998 - C-160/96 = SozR 3-3300 § 34 Nr 2 = ABL EG 1998, Nr C 137, 1-2).
2. Die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft unterfällt weder den in Art 4 Abs 1 EWGV 1408/71 idF vom 2.12.1996 genannten Leistungsarten noch ist sie eine beitragsunabhängige Sonderleistung iS des Abs 2a der Bestimmung, da ihr der unmittelbare monetäre Charakter fehlt.
3. § 4 SchwbG trägt dem Bedürfnis Rechnung, dass zwar die Schwerbehinderteneigenschaft kraft Gesetzes nach § 1 SchwbG ab einem GdB von 50 gegeben ist, jedoch es notwendig ist, die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall nachzuweisen. § 4 SchwbG hat damit keine selbständige Bedeutung über den Wortlaut des § 1 SchwbG hinaus eine Schwerbehinderteneigenschaft nachzuweisen oder festzustellen. Dies würde auch den Sinn und Zweck des § 38 SchwbG, der ausdrücklich davon ausgeht, dass die Schwerbehinderteneigenschaft entfällt, sofern die Voraussetzungen des § 1 SchwbG entfallen sind, entgegenstehen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der 1940 geborene Kläger einen Anspruch auf Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 hat.
Im Jahre 1976 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz nach Frankreich. Er arbeitete als Lehrer an einem Gymnasium in Rheinland-Pfalz. Mit Urkunde vom 9.3.1994 wurde er als Oberstudienrat in den Ruhestand versetzt.
Erstmals stellte der Kläger nach einem Reitunfall im Oktober 1993 einen Antrag auf Feststellung eines GdB. Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 22.12.1993 bei einem GdB von 50 als Behinderungen fest: 1. Krampfanfälle nach Schädelfraktur und subduralem Haematom-Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, 2. Wirbelsäulensyndrom bei Beinverkürzung rechts.
Im Januar 1997 leitete der Beklagte ein Überprüfungsverfahren betreffend die Höhe des GdB ein. Dr. G, Nervenarzt, Bad B, legte in dem eingeholten ärztlichen Befundbericht vom 24.2.1997 dar, dass der Kläger an einem symptomatischen Anfallsleiden nach Contusio cerebri Oktober 1992 leide. Das EEG sei unauffällig gewesen. Es fänden sich keine neurologischen Ausfälle. Klinisch bestehe Anfallsfreiheit. Mit Bescheid vom 2.5.1997 stellte der Beklagte bei einem GdB von 30 die Behinderungen des Klägers fest als 1. Restfolgen nach Schädelfraktur, 2. Wirbelsäulensyndrom bei Beinverkürzung rechts.
Der Kläger legte daraufhin die Urkunde des Regierungspräsidenten vom 9.3.1994 über die Versetzung in den Ruhestand vor. Mit Bescheid vom 13.5.1997 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 22.12.1993 getroffene Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) auf, weil der Kläger weder einen gewöhnlichen Aufenthalt noch einen Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland habe. Der Beklagte stellte sodann mit Bescheid vom 22.9.1997 unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.1993 bei einem GdB von 30 die Behinderungen wie im Bescheid vom 2.5.1997 fest. Mit Teilabhilfebescheid vom 25.9.1997 wurde dem Kläger für steuerliche Zwecke eine entsprechende Bescheinigung über die Höhe des GdB nach dem SchwbG ausgestellt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.7.1998 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde dargelegt, bei den nach dem Unfall verbliebenen Folgen und entsprechend den gesundheitlichen Einschränkungen sei ein GdB von 30 zutreffend und angemessen.
Das Sozialgericht Speyer (SG) hat einen Befundbericht von Dr. W, Arzt für Orthopädie vom 4.1.1999 beigezogen. Darin wird ausgeführt, dass der Kläger an einem chronischen Lumbalsyndrom leide. Der GdB von Seiten der Lendenwirbelsäule werde auf 10 eingeschätzt. Das SG hat einen Befundbericht von Dr. R, Arzt für Allgemeinmedizin, O, vom 25.2.1999 eingeholt. Dieser hat von einem multiplen Krankheitsbild berichtet.
Das SG hat durch Urteil vom 28.4.2000 die Klage abgewiesen und zur Begründung dargelegt, der Kläger habe schon deshalb keinen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, weil er weder im Geltungsbereich des SchwbG an einem Arbeitsplatz beschäftigt sei, noch seinen ...