Leitsatz (amtlich)
§ 6 Abs. 3 AFuU in der Fassung vom 9. September 1971 steht dem Anspruch auf Förderungsleistungen während der Praktikantenzeit im Rahmen der Umschulung zum Masseur und medizinischen Bademeister nicht entgegen (Ergänzung zu BSG, Urteile vom 3. Juni 1975, R 7 Ar 56/73 und R 7 Au 141/74 –).
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 12.12.1974; Aktenzeichen S 2 Ar 80/73) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12. Dezember 1974 abgeändert:
Der Bescheid des Arbeitsamtes K. vom 12. Februar 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1973 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger für die Dauer der Praktikantenzeit vom 15. April 1973 bis 30. September 1974 Unterhaltsgeld zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der Berufung streiten die Beteiligten über den Anspruch des Klägers auf Unterhaltsgeld gemäß § 44 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für die Dauer der nach § 11 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten (MassG) vorgeschriebenen Praktikantenzeit von anderthalb Jahren.
Der 1928 geborene Kläger ist gelernter Bäcker, arbeitete aber nach Abschluß der Lehre nicht in seinem erlernten Beruf. Von 1945 bis 1950 war er Winzer im Betrieb seiner Eltern. Seit 1951 war er selbständiger Winzer. Am 9. November 1970 beantragte er beim Arbeitsamt N. a.d. W.. Förderung seiner Umschulung zum Masseur und medizinischen Bademeister. Für die Dauer seiner Teilnahme an dem gemäß § 8 Abs. 1 MassG vorgeschriebenen einjährigen Lehrgang, den er an der K.-Gesundheitsschule in B. in der Zeit vom 1. April 1972 bis 31. März 1973 besuchte, bewilligte ihm das Arbeitsamt K. Leistungen gemäß §§ 44, 45 AFG, deren Höhe im einzelnen zwar noch streitig ist, der Streit hierüber ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Nach Ablegung der Prüfung vor dem staatlichen Prüfungsausschuß an der K.-Gesundheitsschule war der Kläger ab 15. April 1973 Praktikant bei der Orthopädischen Klinik St.-Stift in L.. Er bezog dort eine Praktikantenvergütung von monatlich 860,78 DM brutto. Außerdem erhielt er ab 1. November 1973 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Nach Abschluß der insgesamt zweieinhalbjährigen Ausbildung erhielt er inzwischen mit Wirkung vom 1. Oktober 1974, die Erlaubnis, eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung Masseur und medizinischer Bademeister auszuüben.
Mit Schreiben vom 26. Januar 1973 bat der Kläger das Arbeitsamt K. um Mitteilung, ob das Unterhaltsgeld als Ausgleich zu der geringen Praktikantenvergütung weitergezahlt werde. Das Arbeitsamt teilte ihm mit Schreiben vom 12. Februar 1973 ohne Rechtsmittelbelehrung mit, die Weitergewährung des Unterhaltsgeldes sei ausgeschlossen. Das Praktikum diene lediglich zur Erlangung der staatlichen Anerkennung und Erlaubnis der Ausübung des Berufs unter der gesetzlich geschützten Berufsbezeichnung. Es sei daher nicht mehr bestandteil der mit Ablegung der Prüfung abegeschlossenen Umschulungsmaßnahme.
Mit Schreiben vom 14. Mai 1973 an das Arbeitsamt L. bat der Kläger erneut um Gewährung von Unterhaltsgeld während der Praktikantenzeit. Von der Praktikantenvergütung könne seine achtköpfige Familie nicht leben. Hilfsweise bat der Kläger um ein zinsloses Darlehen in Höhe von 7.000,– DM.
Dieses Schreiben wurde von der Widerspruchsstelle des Arbeitsamts K. als fristgerechter Widerspruch gegen den ohne Rechtsmittelbelehrung formlos übersandten Ablehnungsbescheid vom 12. Februar 1973 angesehen. Mit Bescheid vom 29. August 1973 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach § 6 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrats der Beklagten über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 9. September 1971 sei eine Praktikantenzeit nur dann Bestandteil einer beruflichen Bildungsmaßnahme, wenn sie qualifizierende berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittle und somit der Charakter einer beruflichen Bildung klar erkennbar sei. Zeiten einer Beschäftigung, die der staatlichen Anerkennung oder der Erlangung der staatlichen Erlaubnis zur Ausübung des Berufs dienten, gehörten nicht zu der vorangegangenen beruflichen Bildungsmaßnahme. Diese Auffassung hätten auch der Präsident der Beklagten mit Bescheid vom 2. März 1973 und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Schreiben vom 5. April 1973 auf Eingaben des Klägers vom 19. Februar und 12. März 1973 vertreten.
Mit der am 22. August 1973 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe seinen Weinbaubetrieb erst aufgrund einer festen Zusage des Arbeitsamts aufgegeben, nach der die Beklagte alle mit der Umschulung verbundenen Kosten übernehme und er für die gesamte Ausbildungszeit einschließlich des Praktikums Unterhaltsgeldes unter Berücksichtigung seine bisherigen Einkommens als selbständiger Winzer oder des zu erwartenden kü...