Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Trzebinia. rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Zwangsarbeit. Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen von Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) - hier: Beschäftigung im Ghetto Trzebinia von Anfang 1941 bis April 1942.

2. Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) ist keine Leistungsvoraussetzung nach dem ZRBG (vgl BSG vom 26.7.2007 - B 13 R 28/06 R).

3. Zum Begriff "Ghetto" iS des ZRBG.

4. Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG (B 5 R 24/08 R) zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG Speyer (S 8 R 363/06) wirkungslos.

 

Tenor

1.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 19.04.2007 wird zurückgewiesen.

2.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der ... 1925 in T bei K (Polen) als polnischer Staatsbürger geborene Kläger ist als rassisch Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt. Erstmals am 14.01.2000 beantragte er die Gewährung einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung; möglicherweise seien Sozialversicherungsansprüche in Deutschland auf Grund geleisteter Arbeiten in Oberschlesien gegeben. Mit Schreiben vom 07.09.2000 nahm der Kläger den Antrag zurück, da sich N nach Akteneinsicht N herausgestellt habe, dass er nur auf Grund des Arbeitszwanges für Juden Straßenbauarbeiten habe leisten müssen und zwar ohne Vergütung.

Am 27.10.2003 beantragte der Kläger Altersrente unter Bezugnahme auf das ZRBG. Zur Begründung machte er geltend, von 1941 bis Juni 1942 sei er im Ghetto T beschäftigt gewesen. In seinem Antragsformular präzisierte er diese Angaben als Hausarbeiten, Tätigkeiten in Ställen, im Kinosaal und in Gärten. Die Tätigkeiten seien durch den Judenrat und das Bürgermeisteramt zugewiesen worden. Die Entlohnung sei vom Bürgermeisteramt oder der Kommandantur in Form von Ghetto-Coupons und Reichsmark erfolgt.

Die Beklagte zog daraufhin die BEG-Akte des Bayerischen Landesentschädigungsamtes über die Gewährung von Leistungen an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung bei. In einer in dieser Akte befindlichen eidesstattlichen Versicherung vom 29.11.1956 hatte der Kläger angegeben:

"Vor dem Kriege und auch bei Kriegsausbruch wohnte ich in T bei K. Als Volljude musste ich seit November 1939 den Judenstern tragen. Trotz meines jugendlichen Alters musste ich auch Zwangsarbeit leisten. Ich arbeitete für die Stadtverwaltung und war mit Straßenkehren und mit Straßenbauarbeiten beschäftigt. Ich verblieb in T bis April 1942 und wurde nachher von dort in das Konzentrationslager (KZ) B deportiert."

Herr E E bestätigte in einer eidesstattlichen Versicherung vom 29.11.1956, dass der Kläger als Volljude in T seit Herbst 1940 den Judenstern habe tragen und verschiedene Zwangsarbeiten habe verrichten müssen.

Herr E H führte in eidesstattlichen Versicherungen vom 07.02.1951 und 05.05.1956 aus, er habe sich von Dezember 1942 bis Januar 1945 im KZ B befunden. Dort habe er die Bekanntschaft mit dem Kläger gemacht, der ihm erzählt habe, im April 1942 sei er aus rassischen Gründen in das KZ B eingeliefert worden.

Frau C B versicherte am 11.08.1953 an Eides statt:

"Im Oktober 1941 wurde ich in das Zwangsarbeitslager T aus rassischen Gründen eingeliefert. Dort traf ich Herrn S, der sich bereits im Lager befand. Von da ab sah ich ihn häufig bei der Arbeit. Er arbeitete auf einer Baustelle, während ich in den Gummiwerken beschäftigt war. Ich war in diesem Lager bis zum 28.10.1942 inhaftiert und wurde sodann nach dem Zwangsarbeitslager N überstellt. Herrn S sah ich bereits längere Zeit vor meinem Abtransport nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich Herrn S das letzte Mal im Lager getroffen habe."

In ärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Gesundheitsschäden nach dem BEG vom 29.11.1956, 06.11.1958 und 11.06.1959 wird jeweils ausgeführt, der Kläger sei mit 14/15 Jahren zur Zwangsarbeit herangezogen worden.

Die Beklagte zog sodann ein Gutachten des Historikers A B vom 08.09.2003 bei, das dieser für das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) erstellt hatte. Der Historiker führte aus, in Ost-Oberschlesien seien erste räumliche Beschränkungen für die jüdische Bevölkerung durch die Einführung des so genannten "Judenbanns" Anfang 1941 eingetreten. Hierdurch sei es zu Verdrängungsmaßnahmen gegen die in den Innenstadtbezirken wohnende jüdisch...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge