Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes. fiktives Arbeitsentgelt. Verminderung der Arbeitsstunden. Arbeitslosengeldvorbezug. Bestandsschutz. Vergleichsberechnung. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Bei der Bemessung nach einem fiktiven Arbeitsentgelt gem § 132 Abs 1 S 1 SGB 3 ist die Regelung des § 131 Abs 4 SGB 3 grundsätzlich zu berücksichtigen.
2. Eine Einschränkung erfährt die Regelung durch § 131 Abs 5 SGB 3. Vor diesem Hintergrund muss die Bemessung nach der Bestandschutzregelung insoweit auf der gleichen Grundlage erfolgt sein, wie die Bemessung nach der fiktiven Berechnung zu erfolgen hat, dh die der Bestandsschutzreglung zugrunde liegende durchschnittlich auf die Woche entfallende Zahl der Arbeitsstunden muss deckungsgleich mit der der fiktiven Bemessung zugrunde zu legenden möglichen zu leistenden Arbeitsstunden sein.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.11.2010 - S 9 AL 298/08 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des der Klägerin ab dem 17.12.2008 zu gewährenden Arbeitslosengeldes (Alg) streitig.
Die 1950 geborene Klägerin, auf deren Lohnsteuerklasse seinerzeit die Steuerklasse V eingetragen war, war vom 13.12.1995 bis zum 31.03.2006 bei der D.P.AG als Briefzustellerin beschäftigt gewesen. Ihre wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit hatte zuletzt 23 Stunden betragen, die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten demgegenüber 38,5 Stunden. Sie erhielt 36.675,03 € Abfindung.
Am 01.04.2006 hatte sich die Klägerin arbeitslos gemeldet und die Gewährung von Alg beantragt. In der von ihr vorgelegten Arbeitsbescheinigung vom 18.04.2006 war für die bei ihrem Ausscheiden abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume Mai 2005 bis Februar 2006 ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt 19.447,80 € ausgewiesen gewesen. Mit Bescheid vom 09.05.2006 hatte die Beklagte die Gewährung von Alg für die Zeit vom 01.04.2006 bis 22.09.2006 mit der Begründung abgelehnt, der Anspruch ruhe während dieses Zeitraumes, weil die Klägerin eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten bzw. zu beanspruchen habe. Sie hatte der Klägerin weiter mitgeteilt, dass Alg, sofern die Klägerin nach dem 22.09.2006 weiterhin arbeitslos sein sollte, erst nach erneuter Antragstellung gezahlt werden könne. Den gegen den Bescheid vom 09.0.2006 erhobenen Widerspruch hatte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Am 12.09.2006 hatte sich die Klägerin erneut arbeitslos gemeldet und die Gewährung von Alg beantragt. Mit Bescheid vom 15.09.2006 war ihr Alg ab dem 23.09.2006 für eine Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen in Höhe von (iHv) täglich 17,97 € bewilligt worden. Die Beklagte hatte der Bewilligung ein tägliches Bemessungsentgelt iHv 58,23 € zugrunde gelegt, Lohnsteuerklasse V, die Lohnsteuertabelle für das Jahr 2006, ein tägliches Leistungsentgelt iHv 29,95 € und einen Prozentsatz von 60. Zur Begründung hatte sie unter anderem ausgeführt, die Klägerin könne die Zahl von Arbeitsstunden, die dem Bemessungszeitraum erzielten Entgelt durchschnittlich zugrunde gelegen hätten, weiterhin leisten. Der zwischenzeitlich erkrankten Klägerin war Alg bis einschließlich 31.07.2007 gezahlt worden.
Vom 01.08.2007 bis zum 16.12.2008 hatte die Klägerin Krankengeld bezogen. Am 29.09.2008 meldete sie sich mit Wirkung zum 17.12.2008 erneut arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung des Alg. Die Beklagte nahm, weil die Klägerin im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vom 17.12.2006 bis 16.12.2008 keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt hatte, eine Vergleichsberechnung (fiktive Berechnung) vor. Sie ging davon aus, dass die Klägerin der Qualifikationsgruppe 3 (Beschäftigungen, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern) zuzuordnen sei, so dass bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden als fiktives Arbeitsentgelt 1/450 der Bezugsgröße und damit 66,27 € in Ansatz zu bringen sei mit der Folge, dass aufgrund der der Klägerin nur möglichen wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden der Bewilligung ein entsprechend reduzierter Betrag und damit 39,08 € zugrunde zu legen seien.
Mit Bescheid vom 22.10.2008 bewilligte die Beklagte daraufhin der Klägerin Alg ab 17.12.2008 iHv täglich 13,14 €. Der Bewilligung legte sie das errechnete reduzierte Bemessungsentgelt iHv 39,08 €, Lohnsteuerklasse V, die Lohnsteuertabelle für das Jahr 2008, ein Leistungsentgelt von täglich 21,90 € und einen Prozentsatz von 60 zugrunde. In der Begründung des Bescheids ist unter anderem ausgeführt, die Klägerin wolle nicht mehr die im Bemessungszeitraum angefallenen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitsstunden leisten, das Bemessu...