Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung. Verschlimmerungsantrag. GdB von 50. Diabetes mellitus. Versorgungsmedizinische Grundsätze. gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung. Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung. Einschränkungen bei Nahrungsaufnahme und Mobilität

 

Orientierungssatz

Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme (Achtung auf eine kohlenhydratarme Kost; regelmäßige Mahlzeiten; abendliche Mahlzeiten, um nächtliche Hypoglykämien zu vermeiden; Vermeidung und Ersetzung bestimmter Lebensmittel wie Zucker, Honig und Weizen; ggf Abwarten einer halben oder einer Stunde bis zum Essen, wenn die gemessenen Werte noch zu hoch sind), bei Autofahrten (Vermeidung längerer Autofahrten, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden; kürzere Autofahrten - zB zur Arbeit - nur nach vorheriger Blutzuckermessung) und bei Reisen (Urlaubsreisen nur mit dem Flugzeug) bedeuten zwar eine "stärkere" Teilhabebeeinträchtigung iS von Teil B Nr 15.1 Abs 3 VMG; das Ausmaß einer darüber noch hinausgehenden "ausgeprägten" Teilhabebeeinträchtigung (Teil B Nr 15.1 Abs 4 VMG) erreichen sie hingegen nicht (vgl dazu auch BSG vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 18).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.08.2021; Aktenzeichen B 9 SB 6/21 C)

BSG (Beschluss vom 11.06.2021; Aktenzeichen B 9 SB 64/20 B)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.08.2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grads der Behinderung (GdB).

Bei dem am 1967 geborenen Kläger wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2004 ein Gesamt-GdB von 40 festgestellt, bei folgenden Behinderungen:

1. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40)

2. Wirbelsäulensyndrom (GdB 10).

Die hiergegen erhobene Klage blieb ebenso erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Koblenz - SG - vom 28.03.2007, Az. S 8 SB 836/04) wie das nachfolgende Berufungsverfahren (Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.10.2007, Az. L 6 SB 86/07).

Ein im Jahr 2009 gestellter Änderungsantrag wurde mit Bescheid vom 02.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2010 abgelehnt, wobei der Beklagten von folgenden Behinderungen ausging:

1. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30)

2. Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 20)

3. Wirbelsäulensyndrom, Iliosacralgelenk -Syndrom (Einzel-GdB 10).

Den hier streitgegenständlichen Neufeststellungsantrag stellte der Kläger am 16.01.2017, wobei er eine Verschlimmerung des Diabetes mellitus geltend machte. Der Beklagte holte einen Befundbericht des Leiters des D. K.zentrums N. Dr. B. vom 19.01.2017 ein, der in diesem u.a. ausführte, dass unter der aktuellen Therapie mit eigenverantwortlichem Stoffwechselmanagement (täglich 6-10 Blutzucker-Selbstkontrollen, täglich 3,5 Insulininjektionen) eine instabile Stoffwechsellage mit Gefahr des Auftretens schwerer Hypoglykämien bestehe. Im vom Beklagten erbetenen Fragebogen gab der Kläger am 17.01.2017 an, dass seine Zuckerkrankheit mit 4 und mehr Insulin- oder Insulinanalogon-Injektionen/Tag behandelt werde; er führe regelmäßig Blutzuckerselbstmessungen mit Insulindosisanpassung mindestens 4 Mal pro Tag durch. Er legte ferner sein Diabetes-Tagebuch vor.

Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. T. vom 02.03.2017 ein, die ausführte, dass nach Auswertung des Diabetestagebuchs täglich 3-4 Blutzuckermessungen durchgeführt würden und es im dort genannten Zeitraum (01.08.2016 bis 19.01.2017) insgesamt 4 Mal zu leichten Hypoglykämien gekommen sei. Schwere Hypoglykämien seien nicht erfolgt. Die Blutzuckermessungen seien tageszeitlich angepasst erfolgt, nächtliche Messungen seien nur selten erfolgt (12 Mal zwischen 0:00 bis 2:00 Uhr im oben genannten Zeitraum und 3 Mal zwischen 2:00 bis 3:00 Uhr im oben genannten Zeitraum). Die von dem Diabetologen angegebenen 6-10 Blutzuckermessungen täglich ließen sich nicht objektivieren. Eine über das übliche Maß hinausgehende ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung lasse sich mit den vorliegenden Befunden nicht begründen. Der Einzel-GdB für die Diabeteserkrankung sei daher weiterhin mit 40 zu bewerten. Neben einem Einzel-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit und einem Einzel-GdB 10 für degenerative Wirbelsäulenveränderungen betrage der Gesamt-GdB weiterhin 40.

Mit Bescheid vom 08.03.2017 lehnte der Beklagte dem folgend den Antrag auf Neufeststellung ab.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, dass er seinen Blutzucker mehrmals (mindestens 6 Mal) messen und dementsprechend mindestens 4 Mal am Tag Insulin spritzen müsse. Zusätzlich dazu sei der Blutdurchfluss in seinen Beinen beeinträchtigt, was auch auf den Diabetes zurückzuführen sei. Dadurch habe er Schmerzen in beiden Waden, so dass er nicht in der Lage sei, schwere Arbeiten zu verrichten. Auf Aufforderung des Beklagten legte er erneut den Fragebogen Diabetes...

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