Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung einer Antragspflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung wegen der Nichtzahlung von Beiträgen. Hinweispflicht der Bundesagentur für Arbeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Zugang eines behördlichen Schreibens. Anscheinsbeweis. Notwendigkeit des Vollbeweises
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Antragspflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung (§ 28a SGB 3) endet bei Verzug mit der Beitragszahlung für länger als drei Monate nur dann, wenn der Versicherte von der Bundesagentur für Arbeit darauf hingewiesen worden ist, zu welchem Fälligkeitszeitpunkt er welche Beitragssumme auf ein bestimmtes Konto zu zahlen hat. Fehlt ein solcher Hinweis, kann der Versicherte im Einzelfall im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein, als ob er die Beiträge rechtzeitig gezahlt hat.
2. Für die Überzeugung des Gerichts vom Zugang eines behördlichen Schreibens ist ein Vollbeweis, d.h. die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. notwendig; eine - wenn auch große - Wahrscheinlichkeit reicht nicht aus (im Anschluss an BSG vom 26.7.2007 - B 13 R 4/06 R = SozR 4-2600 § 115 Nr. 2).
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11.11.2008 - S 1 AL 371/07 - sowie der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2007 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger im Zeitraum vom 06.11.2006 bis zum 22.09.2008 bei der Beklagten antragspflichtversichert war.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung der Beklagten, seine Antragspflichtversicherung wegen der Nichtzahlung von Beiträgen rückwirkend zu beenden.
Der 1959 geborene Kläger war im April und Mai 2003 selbständig tätig und bezog vom 01.06.2003 bis 30.04.2004 Arbeitslosengeld (Alg). Vom 01.06. bis 30.06.2004 war er bei einem Steuerberater beschäftigt und anschließend arbeitslos. Für den 13.04.2005 erhielt er Alg.
Am 14.04.2005 nahm er eine selbständige Tätigkeit (Buchhaltungsbüro, Verbuchung laufender Geschäftsvorfälle und Lohnabrechnungen) auf und gab in der Gewerbeanmeldung vom 24.05.2005 an, die Tätigkeit nicht im Nebenerwerb zu betreiben. Die Beklagte bewilligte ihm einen Existenzgründungszuschuss für den Zeitraum vom 14.04.2005 bis 13.04.2007. Der Kläger übte die selbständige Tätigkeit mit mehr als 15 Wochenstunden bis zum 22.09.2008 aus und meldete das Gewerbe am 23.09.2008 ab.
Mit Schreiben vom 02.11.2006 - Eingang bei der Beklagten am 06.11.2006 - beantragte der Kläger eine freiwillige Weiterversicherung. Im Antragsformular vom 04.01.2007 gab er an, dass er seit 14.04.2005 als Selbständiger mit mehr als 15 Stunden wöchentlich tätig sei und die Beiträge als Jahresbeitrag zahlen wolle. In Bescheiden vom 10.01.2007 führte die Beklagte aus, dass dem Antrag entsprochen werde und die freiwillige Weiterversicherung am 06.11.2006 beginne. Es seien monatliche Beiträge von 39,81 € für das Jahr 2006 sowie 25,73 € für das Jahr 2007 zu zahlen und am 01.03.2007 sei für das Kalenderjahr 2006 ein Betrag von 72,99 € und für das Kalenderjahr 2007 von 308,76 € zu entrichten. Bei Zahlung sei die Buchungsnummer … anzugeben. Einen Absendevermerk enthielten die in der Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Bescheidentwürfe (Bl. 14/15, 19/20) nicht. Mit Schreiben vom 12.04.2007 - gemäß Datumstempel abgesandt am gleichen Tag - wurde der Kläger zur Zahlung der am 01.03.2007 fälligen Beiträge aufgefordert und ihm mitgeteilt, dass das Versicherungsverhältnis ende, wenn er insgesamt mehr als drei Monate keine Beiträge gezahlt habe.
Mit Bescheid vom 18.06.2007 hob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung nach § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ab dem 06.11.2006 auf, da der Kläger keine Beiträge gezahlt habe. Die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung lägen nicht mehr vor. Mit Schreiben vom 19.06.2007 legte der Kläger Widerspruch ein. Am gleichen Tag wies der Kläger die ausstehenden Beiträge bei der VR Bank S. getrennt zur Zahlung an und gab jeweils die Buchungsnummer … an. Die Beklagte wies den Widerspruch am 27.07.2007 zurück und zahlte dem Kläger die überwiesenen Beiträge zurück.
Mit der am 21.08.2007 bei dem Sozialgericht Speyer (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er weder die Bescheide vom 10.01.2007 noch das Schreiben vom 12.04.2007 erhalten habe. Er wohne in einer Häuserreihe mit sechs Einzelhäusern, die die Hausnummern 146 bis 146 e hätten und es sei in der Vergangenheit schon vorgekommen, dass ihn Post nicht erreicht habe. Die Buchungsnummer sowie die Höhe der Beiträge habe er bei der Beklagten telefonisch erfragt und dann auf den Überweisungsträgern angegeben.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 11.11.2008 abgewiesen. Der Kläger habe wegen verspäteter Beitragszahlu...