Orientierungssatz
Der Arbeitslose macht grob fahrlässig unrichtige Angaben iS von § 45 Abs 2 S 3 SGB 10, wenn er die Aufstockungsleistungen seines früheren Arbeitgebers zur Arbeitslosenhilfe, die nach der bis zum 31.3.1997 geltenden Rechtslage nicht als Einkommen berücksichtigt wurden, nach der zum 1.4.1997 eingetretenen Rechtsänderung bei der Beantragung der Weiterbewilligungen der Arbeitslosenhilfe nicht als Einkommen angegeben hat.
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides.
Der 1941 geborene Kläger war vom 02.01.1960 bis zum 30.09.1995 als Schweißer bei der Fa. K Maschinen- und Anlagenbau AG, Bad K, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Auflösungsvertrag vom 24.03.1995. Die Arbeitgeberin verpflichtete sich im Schreiben vom selben Tag, dem Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend der betrieblichen Vereinbarung einen monatlichen Betrag von 93 % seines Nettolohnes bzw. Nettogehaltes zu zahlen (sog Aufstockungsleistungen). Auf diesen Abfindungsbetrag sollte das von der Beklagten tatsächlich gezahlte Arbeitslosengeld (Alg), die Arbeitslosenhilfe (Alhi) bzw. Kranken- oder Übergangsgeld angerechnet werden. Außerdem erhielt der Kläger einen einmaligen Abfindungsbetrag i.H.v. 6.000,00 DM, der ihm mit der Gehaltsabrechnung des Monats September 1995 ausgezahlt wurde. Vor Abschluss der entsprechenden Auflösungsverträge fanden in den Betriebsräumen der Fa. K AG Gespräche mit Mitarbeitern der Beklagten statt. Die Mitarbeiter der Beklagten haben bei diesen Gesprächen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern geäußert, dass die Aufstockungsleistungen keine Auswirkungen auf den Bezug von Alg oder Alhi haben und kein Einkommen im Sinne der Alhi-Vorschriften seien.
Der Kläger bezog vom 02.10.1995 bis zum 28.03.1998 Alg, danach war sein Anspruch erschöpft. Anschließend erhielt er vom 29.03.1998 bis zum 18.03.2000 Alhi (Bescheide vom 01.04.1998, 03.03.1999 und 04.01.2000). In seinen am 09.03.1998 und 04.02.1999 eigenhändig unterschriebenen Anträgen auf Gewährung von Alhi hatte der Kläger die jeweils unter Punkt 8a des Zusatzblattes "Bedürftigkeitsprüfung" gestellte Frage, ob er "laufende oder gelegentlich wiederkehrende" Einnahmen habe, verneint. Insgesamt zahlte ihm die Beklagte in dieser Zeit Leistungen i.H.v. 44.240,02 DM aus. Im März 1998 erhielt der Kläger von der K AG Aufstockungsleistungen i.H.v. 135,14 DM, in der Zeit von April 1998 bis Dezember 1998 jeweils i.H.v. 1.733,55 DM, im Januar und Februar 1999 i.H.v. 1.745,67 DM, im März 1999 i.H.v. 1.824,27 DM, im April 1999 i.H.v. 2.011,06 DM, von Mai bis Dezember 1999 i.H.v. 1.847,42 DM, im Januar und Februar 2000 i.H.v. 1.912,03 DM und im März 2000 2.715,49 DM. Nachdem die Alhi eingestellt worden war, zahlte ihm die K AG 93 % seines Nettolohnes. Sie hätte ihm diese 93 % auch dann ausgezahlt, wenn er keine Alhi bezogen hätte.
Im März 2000 stellte die Beklagte im Rahmen einer generellen Überprüfung sämtlicher laufender Alhi-Leistungsfälle ehemaliger Mitarbeiter der Fa. K AG fest, dass sie die dem Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin gewährten Aufstockungsleistungen bei der Bedürftigkeit nicht berücksichtigt hat. Mit Bescheid vom 16.03.2000 nahm sie daraufhin ihre Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft ab dem 19.03.2000 zurück. Nach Anhörung des Klägers nahm sie außerdem mit Bescheid vom 19.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2001 ihre Bescheide über die Bewilligung von Leistungen rückwirkend ab dem 29.03.1998 gem. § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ganz zurück und forderte den Kläger zur Erstattung der bezogenen Leistungen i.H.v. 44.240,02 DM zzgl. der von ihr geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 14.956,07 DM (gesamt 59.196,09 DM) auf.
Die Firma K AG wird dem Kläger die Differenz zwischen den bisher gezahlten Leistungen und der ihm zustehenden Aufstockungsleistung nachzahlen, falls er die bezogene Alhi zurückerstatten muss.
Das Sozialgericht Mainz (SG) hat mit Urteil vom 03.07.2003 der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 oder 3 SGB X lägen nicht vor, weil dem Kläger allenfalls leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne.
Gegen das ihr am 22.08.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.09.2003 Berufung eingelegt.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
Zu Recht habe sie die Bewilligungsbescheide gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X aufgehoben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen vor. Die den Kläger begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakte beruhten auf Angaben, die er zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe. Bereits im ersten Antrag auf Alhi vom 09.03.1998 habe der Kläger es versäumt, die an ihn durch seine frühere Arbeitgeberin gezahlten Aufstockungs...