Leitsatz (amtlich)
1. Berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation nach den Vorschriften der §§ 56 ff AFG werden ab Antragstellung gewährt. § 56 Abs. 1 A Reha enthält ebenso wie § 21 Abs. 1 A Ausbildung eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung.
2. Eine verspätete Antragstellung führt nicht dazu, daß der Anspruch insgesamt ausgeschlossen ist.
Normenkette
AFG § 40 Abs. 1 Fassung: 1976-01-01, § 56 Abs. 1, 2 Fassung: 1974-10-01, § 58 Abs. 1, 2 Fassung: 1976-01-01; A Reha §§ 9, 56 Fassung: 1975-07-31; A Ausbildung § 21 Abs. 1 Fassung: 1975-02-27
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 13.07.1978; Aktenzeichen S 3 Ar 189/77) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. Juli 1978 abgeändert:
Der Bescheid des Arbeitsamtes Ludwigshafen vom 3. Mai 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1977 und der Bescheid des Arbeitsamts Ludwigshafen vom 2. Oktober 1978 werden aufgehoben. Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin ab 13. Januar 1977 Berufsausbildungsbeihilfe zur Rehabilitation zu gewähren.
2. Die weitergehende Klage und Berufung werden zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Auf die Berufung der Klägerin streiten die Beteiligten darüber, ob die Beklagte die Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) zur Rehabilitation zu Recht abgelehnt hat, weil ein dahingehender Antrag verspätet gestellt wurde.
Die am … 1956 geborene Klägerin ist seit ihrer Kindheit gehbehindert; ihre Erwerbsfähigkeit ist um 70 % gemindert. Am 1. August 1976 begann sie eine zweijährige Lehre als Verwaltungsangestellte bei der Stadtverwaltung L. die sie inzwischen mit Erfolg abgeschlossen hat. Sie erhielt in dieser Zeit eine Ausbildungsvergütung in Höhe von DM 313,58 netto monatlich. Die kosten für ihre Unterkunft im eigenen Haushalt betrugen monatlich DM 125,–. Das Einkommen der Eltern abzüglich der Freibeträge für zwei noch minderjährige Geschwister betrug 436,–. Inzwischen ist die Klägerin als Verwaltungsangestellte bei der Stadtverwaltung L. weiterbeschäftigt.
Fünf Monate nach Beginn der Ausbildung, am 13. Januar 1977, beantragte die Klägerin beim Arbeitsamt Ludwigshafen die Gewährung von BAB. Mit Bescheid vom 3. Mai 1977 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Ausbildungsbeihilfe mit der Begründung ab, der Antrag hätte gemäß § 56 der Anordnung über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter am 31. Juli 1975 (A Reha) vor Beginn der Förderungsmaßnahme gestellt werden müssen. Mit gleicher Begründung wies das Arbeitsamt am 12. Juli 1977 den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Bescheid wurde ihr am 20. Juli 1977 zugestellt.
Das Sozialgericht Speyer hat die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 13. Juli 1978 abgewiesen. Es hat sich der Auffassung angeschlossen, daß der Rehabilitationsträger berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 56 Abs. 1 A Reha grundsätzlich nur dann gewähren könne, wenn der entsprechende Antrag rechtzeitig, d.h. von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen, vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme gestellt würde. Die vom Rehabilitationsträger zu bewilligende Förderung einer Maßnahme sei unteilbar. Sie könne nur insgesamt bewilligt, oder aber abgelehnt werden. Dies verstoße weder gegen die Bestimmungen der §§ 56 ff., 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) noch gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Der völlige Ausschluß von Leistungen auch für den Fall, daß die vom Antragsteller begonnene Maßnahme bei einer nachträglichen Überprüfung durch den Rehabilitationsträger für richtig gehalten werde, sei keineswegs willkürlich.
Gegen dieses, der Klägerin am 22. Juli 1978 zugestellte Urteil, richtet sich ihre Berufung vom 2. August 1978.
Inzwischen hat das Arbeitsamt Ludwigshafen mit Bescheid vom 2. Oktober 1978 den Antrag der Klägerin auf BAB auch unter dem Gesichtspunkt des § 40 Arbeiterförderungsgesetz (AFG) und der aufgrund von § 39 AFG erlassenen Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflichen Bildung (A-Ausbildung) zurückgewiesen.
Die Klägerin ist nach wie vor der Ansicht, ihr stünde eine Berufsausbildungsbeihilfe zu. Da ihre Ausbildung den Besonderheiten ihrer Behinderung Rechnung getragen habe, lägen die sachlichen Voraussetzungen für eine Förderungsleistung vor. Sie meint, die verspätete Antragstellung habe sie nicht zu vertreten; sie habe die Beihilfe beantragt, unmittelbar nachdem sie im Jahre 1977 zum erstenmal von möglichen Ansprüchen gegenüber der Bundesanstalt erfahren habe. Im übrigen vertritt sie die Auffassung, ihre Ausbildung müsse zumindest ab Antragstellung gefördert werden. Andernfalls sei sie – was dem Sinn von Rehabilitationsmaßnahmen zuwiderlaufe – schlechter gestellt als ein Nichtbehinderter, der, wenn die sachlichen Voraussetzungen vorlägen, eine Förderung vom Zeitpunkt der A...