Leitsatz (amtlich)
Propagandisten stehen in einem abhängigen und versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Unternehmen, von dem sie gegen eine garantierte Mindestprovision dazu eingesetzt werden, die Produkte dieses Unternehmens in den Geschäftsräumen eines Dritten auf dessen Rechnung zu verkaufen.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 24.09.1975; Aktenzeichen S 2 K 9/75) |
Nachgehend
Tenor
1. Das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24. September 1975 und der Bescheid der Beklagten vom 17. September 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 1975 werden abgeändert. Die Klägerin ist verpflichtet, die Beigeladene S. ab Beginn ihrer im Oktober 1973 aufgenommenen und gegen Provisionszahlung für die Klägerin ausgeübten Beschäftigung als Propagandistin bei der Beklagten anzumelden.
2. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene S. Versicherungspflichtig ist oder nicht.
Die Beigeladene S. arbeitete ab Anfang Oktober 1973 als Propagandistin der Klägerin im Kaufhaus H. in S. Die Propagandisten verkaufen von der Klägerin hergestellte Artikel, die das jeweilige Kaufhaus oder der jeweilige sonstige Kunde von der Klägerin bereits gekauft und zu Eigentum erworben hat. Für den Verkauf ist ein gesonderter Stand errichtet. Die Propagandisten erhalten für jeden verkauften Artikel eine Provision. Die Klägerin zahlt ihnen eine wöchentliche Mindestprovision von 180,– DM für den Fell, daß eine geringere oder jedenfalls nicht höhere wöchentliche Provision erreicht wird. Außerdem erstattet die Klägerin die Fahrtkosten bei einem Einsatz außerhalb des Wohnortes, die Portokosten für die wöchentlichen Verkaufsmeldungen und die Telefongebühren bei wichtigen Informationen. Die Provisionen werden ohne Steuer- und Sozialversicherungsabzüge ausgezahlt. Die für den Sitz der Klägerin zuständige AOK Diez sieht die Propagandisten als nichtversicherungspflichtige freie Mitarbeiter der Klägerin an. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschied am 15. Juli 1970, die Propagandisten der Klägerin seien keine Arbeitnehmer und deshalb nicht lohnsteuerpflichtig.
Dagegen hat die für den Einsatz der Beigeladenen S. zuständige AOK Stuttgart durch Bescheid vom 17. September 1974 die Versicherungspflicht festgestellt und die Klägerin aufgefordert, die Beigeladene S. rückwirkend ab 1. August 1973 – die AOK hat eine Beschäftigung für die Klägerin ab diesem Zeitpunkt angenommen – zur Versicherung anzumelden. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch hat die Klägerin geltend gemacht: Die Beigeladene S. sei genauso wie ihre übrigen Propagandisten weder persönlich noch wirtschaftlich von ihr abhängig, somit keine Arbeitnehmerin und deshalb nicht sozialversicherungspflichtig. Sie sei ausdrücklich als freie Mitarbeiterin tätig geworden. Alle Propagandisten könnten ihre Mitarbeit zeitlich, örtlich und sachlich völlig frei gestalten. Sie würden weder überwacht noch irgendwie verbindlich angewiesen. Sie seien lediglich der Hausordnung des jeweiligen Kaufhauses oder des sonstigen Kunden, bei dem sie ihren Verkaufsstand hätten, unterworfen. Es bestünden zu ihr keine weiteren Beziehungen, als daß sie ab und zu Vorführinformationen und unverbindliche Vorführtips gebe und auf die Verkaufsmeldungen und Provisionsabrechnungen hin die Provisionen auszahle. Da die Höhe der Gesamtprovisionen von des Einsatz und dem Geschick der Propagandisten bestimmt werde, hätten diese genauso wie ein freier Handelsvertreter oder ein sonstiger selbständiger Gewerbetreibender ein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen. Die garantierte wöchentliche Mindestprovision von 180,– DM ändere daran nichts. Dieser Betrag decke allenfalls das Existenzminimum ab. Im Übrigen sei es Sache der Propagandistin selbst, wieviel die verdienten. Das hänge nach ihrem eigenen Belieben davon ab, wie lange sie den Verkaufsstand besetzten. Sie seinen nicht gehindert, gleichzeitig für andere Firmen tätig zu werden. Auch ob sie Urlaub nennen wollten oder nicht, sei ihnen überlassen, da sie keinen Urlaubsanspruch hätten. Es bestünden auch keine besonderen Kündigungsvereinbarungen. Die Propagandisten könnten ihre Mitarbeit einstellen, sobald sie wollten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1975 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück, weil die Beigeladene S. als Propagandistin sowohl persönlich als auch wirtschaftlich von der Klägerin abhängig und damit als Arbeitnehmerin versicherungspflichtig sei.
Daraufhin hat die Klägerin am 3. März 1975 die Klage zum Sozialgericht Koblenz erhoben und in wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Beklagte hat an ihrer Ansicht festgehalten, daß die Beigeladene S. versicherungspflichtig sei. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Bundesanstalt für...