Leitsatz (amtlich)
1. Die Möglichkeit, ihre Arbeit verhältnismäßig frei zu gestalten und die Höhe ihres Einkommens durch persönlichen Einsatz zu beeinflussen, gibt Propagandisten noch keine unternehmerische Freiheit. Sie stehen in einem abhängigen und damit versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Unternehmen, das sie gegen eine garantierte Mindestprovision dazu einsetzt,
2. In Fällen, in denen einige Gründe für eine selbständige, aber auch einige für eine unselbständige Tätigkeit sprechen, ist letzteren das größere Gewicht beizumessen und deshalb nach Wesen und Zweck der Sozialversicherung eher eine abhängige als eine selbständige Tätigkeit anzunehmen.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 11.05.1977; Aktenzeichen S 2 K 34/76) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. Mai 1977 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die im … 1930 geborene Beigeladene V. W. war von Januar 1971 bis zum 31. Dezember 1975 als Propagandistin der Klägerin in verschiedenen B. er Kaufhäusern tätig. Sie verkaufte an gesonderten Verkaufsständen Erzeugnisse der Klägerin im Namen und auf Rechnung des jeweiligen Kaufhauses. Für jeden verkauften Artikel bezog sie von der Klägerin eine Provision; für den Fall, daß eine geringere oder jedenfalls nicht höhere wöchentliche Provision erreicht wurde, zahlte die Klägerin eine wöchentliche Mindestprovision von 180,– DM. Außerdem erstattete die Klägerin die Portokosten für die wöchentlichen Verkaufsmeldungen. Die Provisionen wurden ohne Steuer- und Sozialversicherungsabzüge ausgezahlt. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen W. bestanden keinerlei Verträge oder sonstige schriftliche Vereinbarungen.
Auf Veranlassung der Beigeladenen W. stellte die Beklagte durch Bescheid vom 26. September 1975 deren Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung ab 11. Januar 1971 fest; die Krankenversicherungspflicht nahm sie wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht an. Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung forderte sie lediglich ab 1. Dezember 1972, da sie die Beiträge für die davorliegende Zeit als verjährt ansah. Zur Begründung gab sie an: Die Beigeladene W. habe in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Ihre Tätigkeit habe zahlreichen Beschränkungen unterlegen, die sich mit einer selbständigen Tätigkeit nicht vereinbaren ließen. Sie habe nur ihre Arbeitskraft eingesetzt und kein eigenes Unternehmerrisiko getragen. Sie sei den Weisungen des jeweiligen Kaufhauses unterworfen gewesen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 13. Oktober 1975 Widerspruch ein. Sie führte aus: Die Beigeladene W. sei genauso wie ihre übrigen Propagandisten weder persönlich noch wirtschaftlich von ihr abhängig, somit keine Arbeitnehmerin und deshalb nicht sozialversicherungspflichtig. Sie sei ausdrücklich als freie Mitarbeiterin tätig geworden. Alle Propagandisten könnten ihre Mitarbeit zeitlich, örtlich und sachlich völlig frei gestalten. Sie würden weder überwacht noch irgendwie verbindlich angewiesen. Sie seien lediglich der Hausordnung des jeweiligen Kaufhauses, bei dem sie ihren Verkaufsstand hätten, unterworfen. Zu ihr bestünden keine weiteren Beziehungen, als daß sie ab und zu Vorführinformationen und unverbindliche Vorführtips gebe und auf die Verkaufsmeldungen und Provisionsabrechnungen hin die Provisionen auszahle. Da die Höhe der Gesamtprovisionen von dem Einsatz und dem Geschick der Propagandisten bestimmt werde, hätten diese genauso wie ein freier Handelsvertreter oder ein sonstiger selbständiger Gewerbetreibender ein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen. Die garantierte wöchentliche Mindestprovision von 180,– DM ändere daran nichts. Dieser Betrag decke allenfalls das Existenzminimum. Im übrigen sei es Sache der Propagandisten selbst, wieviel sie verdienten. Das hänge nach ihrem eigenen Belieben davon ab, wie lange sie den Verkaufsstand besetzten. Sie seien nicht gehindert, gleichzeitig für andere Firmen tätig zu werden. Auch ob sie Urlaub nehmen wollten oder nicht, sei ihnen überlassen, da sie keinen Urlaubsanspruch hätten. Es bestünden auch keine besonderen Kündigungsvereinbarungen. Die Propagandisten könnten ihre Mitarbeit einstellen, sobald sie wollten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 1976 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie legte dar, daß die Beigeladene W. als Propagandistin sowohl persönlich als auch wirtschaftlich von der Klägerin abhängig und damit als Arbeitnehmer versicherungspflichtig gewesen sei.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 8. April 1976 beim Sozialgericht – SG – Koblenz Klage erhoben. Sie hat sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren bezogen und ergänzend vorgetragen: Die Beigeladene W. sei nicht in ihren Betrieb eingegliedert gewesen, da sie ja Waren...