Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen für die Auferlegung von Kosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesetzgeber hat in § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG nF zum verfahrensrechtlichen Ausgleich der Objektivierung des materiellen Maßstabs die Auferlegung von Kosten von einer richterlichen Belehrung abhängig gemacht, die sich von der Anhörung nach § 62 SGG durch strengere formale und weitergehende inhaltliche Anforderungen unterscheidet.

2. Die in § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG vorgeschriebene Darlegung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung durch den Vorsitzenden soll dem Betroffenen ermöglichen, die Missbräuchlichkeit der Fortführung des Rechtsstreits einzusehen, und muss dazu geeignet sein.

3. Durch den in § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG zusätzlich vorgeschriebenen Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung soll auch der unbelehrbare Beteiligte vor der Kostenfolge einer Fortführung des Rechtsstreits gewarnt werden. Wegen dieser Warnfunktion darf der Vorsitzende auch schon bei der vorangegangenen Belehrung an der Missbräuchlichkeit einer Fortführung des Rechtsstreit keinen Zweifel lassen.

4. Die Unzulässigkeit der Klage kann nach § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG die Missbräuchlichkeit der Fortführung des Rechtsstreits nur begründen, wenn diese deswegen offensichtlich aussichtlos ist.

 

Tenor

Die Kostenentscheidungen in den Urteilen des Sozialgerichts Halle vom 20. Januar 2006 - S 1 V 7, 8, 18, 35 und 44/05 - werden aufgehoben, soweit dem Kläger darin Kosten nach § 192 Sozialgerichtsgesetz auferlegt worden sind.

 

Gründe

I.

Der Beklagte gewährt dem im November 1934 geborenen Kläger seit 1991 wegen einer Verletzung durch Fundmunition im Jahre 1947 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Aufgrund eines Bescheides vom 30. August 1993 bezieht der Kläger auch Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG und aufgrund eines Bescheides vom 23. Dezember 1998 seit 1995 einen ergänzenden Härteausgleich nach § 89 Abs. 1 BVG. In den vorliegenden Verfahren hat der Kläger sich - wie schon in früheren durch rechtskräftige Entscheidungen beendeten Verfahren - gegen Regelungen der Höhe beider Versorgungsleistungen in bestandskräftigen Bescheiden gewendet. Nach Rücknahme der Klagen im Berufungsverfahren begehrt er noch die Aufhebung der Auferlegung von Kosten wegen missbräuchlicher Fortführung des Rechtsstreits in den Urteilen des Sozialgerichts.

Da der Kläger die Schädigung vor Abschluss der Schulausbildung erlitten hat, hatte der Beklagte in dem Bescheid vom 30. August 1993 bei der Berechnung des Vergleichseinkommens § 7 Abs. 1 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) angewendet und das für Beamte des gehobenen Dienstes bestimmte Durchschnittseinkommen nach dem Bundesbesoldungsgesetz zugrunde gelegt. Hiergegen hatte der Kläger eingewendet, die Einstufung müsse sich nach seinem tatsächlichen beruflichen Werdegang nach dem Abschluss der Schulausbildung richten. Seine in den letzten 15 Jahren vor dem Ausscheiden im Jahre 1991 in einem Industriebetrieb ausgeübte Tätigkeit habe einer Hochschulausbildung entsprochen und er hätte ohne die Schädigung wahrscheinlich eine leitende Stellung erreicht. Mit diesem Begehren war er in allen Instanzen bis hin zum Bundessozialgericht (Urteil v. 29. 7. 1998 - 9 RV 14/97 R -) erfolglos geblieben.

Im Januar 2002 hatte der Kläger, der seit August 1998 aufgrund der Feststellung der Gleichwertigkeit seines Fachschulabschlusses in der DDR nach Art. 37 Abs. 1 Einigungsvertrag zur Führung der staatlichen Bezeichnung "Dipl.-Betriebswirt (FH)" berechtigt ist, unter Berufung auf die Nachdiplomierung beim Beklagten beantragt, dem Vergleichseinkommen ein höheres Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Diesen Antrag hatte der Beklagte im Überprüfungsverfahren nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) abgelehnt. Nach erfolglosem Widerspruch und erfolgloser Klage hatte das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) die Berufung des Klägers mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 26. Mai 2005 - L 7 V 12/04 - zurückgewiesen.

Schon mit seinem Widerspruch gegen die Regelung der Höhe des Berufsschadensausgleichs durch den Bescheid vom 30. August 1993 hatte der Kläger auch beanstandet, dass der Beklagte nach § 8 Abs. 1 BSchAV das Vergleichseinkommen vom 1. November 1991 an auf 75 v.H. herabgesetzt hatte, weil der Kläger in den Vorruhestand eingetreten sei. Mit seinem Einwand, er sei nicht in den Vorruhestand eingetreten, sondern habe Altersübergangsgeld bezogen, hatte der Kläger im Revisionsverfahren Erfolg. In dem genannten Urteil vom 29. Juli 1998 hatte das Bundessozialgericht (BSG) unter Änderung der vorangegangenen Entscheidungen den Beklagten verurteilt, dem Kläger über Oktober 1991 hinaus Berufsschadensausgleich ohne Kürzung des Vergleichseinkommens zu gewähren. In der Begründung hatte es klargestellt, der Beklagte werde nun darüber zu entscheiden haben, ob und ab wann das Vergleichseinkommen des Klägers für die Zeit nach Vollendung ...

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