Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Abwrack- bzw Umweltprämie. zweckbestimmte Einnahme. Verwaltungsakt. Auswechseln der Rechtsgrundlage. Nachschieben von Gründen. Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts
Leitsatz (amtlich)
1. Die sog Umweltprämie ("Abwrackprämie") ist nicht als Einkommen nach § 11 SGB 2 anzurechnen. Es handelt sich um eine zweckbestimmte Einnahme gemäß § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2, die nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt ist.
2. Hat der SGB 2-Leistungsträger einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid darauf gestützt, dass die dem Leistungsempfänger nach einem Autokauf zugeflossene Umweltprämie als Einkommen anzurechnen sei, kann die Begründung im Gerichtsverfahren nicht mehr ausgetauscht und nachträglich alternativ darauf gestützt werden, dass der Leistungsempfänger vor dem Autokauf von Verwandten ein Geldgeschenk erhalten hat.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 23. September 2009 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 vorläufig unter Anrechnung bereits bewilligter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in Höhe von monatlich 296,59 € zu zahlen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ohne Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme in Höhe von 2.500,00 €.
Die am … 1964 geborene Antragstellerin bezieht seit dem Jahr 2007 von dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Sie ist erwerbstätig und erzielt unterschiedlich hohes monatliches Nettoeinkommen, wobei der Antragsgegner bei der Leistungsberechnung derzeit einen Durchschnitt von 648,60 € im Monat zugrunde legt.
Am 19. März 2009 erwarb die Antragstellerin ein neues Auto “Opel Corsa Selection„ zu einem Gesamtpreis von 12.390,90 €. Sie finanzierte diesen Kaufpreis durch ein zinsloses Darlehen in Höhe von 2.500,00 €, das ihr Herr R… K…. gewährte, wobei sie sich verpflichtete, dieses aus der von ihr in dieser Höhe erwarteten sogenannte Umweltprämie (umgangssprachlich Abwrackprämie) zurückzuführen. Sie gab Herrn K.. bereits im Antrag auf die Prämie als Empfänger des Betrags an. Von ihrer Mutter erhielt sie am 19. März 2009 einen Geldbetrag in Höhe von 2.500,00 € als Geschenk. Die Antragstellerin zahlte einen Betrag von 5.000,00 € beim Kfz-Kauf in bar an. Hinsichtlich der verbleibenden 8.152,14 € schloss sie einen Darlehensvertrag mit einer Bank ab und zahlt - soweit ersichtlich - hierauf monatlich 91,04 €. Den Erhalt des Geschenks zeigte die Antragstellerin dem Antragsgegner an und legte eine Erklärung der Mutter vor, wonach diese der Antragstellerin den Geldbetrag für die Anzahlung ihres neuen Autos geschenkt habe. Der Antragsgegner vermerkte am 4. Juni 2009 in den Verwaltungsakten, der Betrag sei “bei der Vermögensanrechnung zu berücksichtigen„.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2009 bewilligte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAfA) der Antragstellerin eine Zuwendung in Höhe von 2.500,00 € für den Erwerb des Neufahrzeugs.
Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 4. Juni 2009 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 i.H.v. monatlich 296,00 €. Im Bescheid wird ausgeführt: “Ihnen werden die Leistungen monatlich in Höhe von 296,59 € vorläufig bewilligt. Begründung: Bei der Antragstellung gaben Sie an, dass die Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit monatlich unterschiedlich hoch sind. Bei der Ermittlung des Bedarfs ist das durchschnittliche monatliche Erwerbseinkommen der Monate 11/08 bis 4/09 berücksichtigt worden. Sie sind verpflichtet, die vollständigen Einkommensnachweise beim Eigenbetrieb für Arbeit vorzulegen.„
Das BAfA zahlte die bewilligte Umweltprämie in Höhe von 2.500,00 € am 9. Juni 2009 unmittelbar an Herrn R... K… aus.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. Juli 2009 ergänzt durch einen Änderungsbescheid vom selben Tag hob der Antragsgegner den Bewilligungsbescheid vom 4. Juni 2009 mit Wirkung vom 1. Juli 2009 auf, setzte die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 in Höhe von monatlich 46,59 € fest und forderte von der Antragstellerin für den Monat Juli 2009 einen Betrag von 250,00 € zurück: Die der Antragstellerin am 9. Juni 2009 über Herrn K… zugeflossene sogenannte Abwrackprämie in Höhe von 2.500,00 € sei als einmalige Einnahme als Einkommen ab dem Folgemonat anzurechnen und auf den Zeitraum Juli 2009 bis April 2010 in Höhe von monatlich 250,00 € zu verteilen. Die Leistungen würden weiterhin vorläufig bewilligt.
Gegen den Aufhebungs- und Er...