Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme einer Immuntherapie mit dem Arzneimittel Proleukin bei Krebserkrankung
Leitsatz (amtlich)
Die nicht der Zulassung entsprechende Applikation eines nach dem Arzneimittelgesetz zugelassenen Arzneimittels kann bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung ausnahmsweise ohne Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur vertragsärztlichen Leistung gehören, wenn die zugelassene Anwendungsform mit unerträglichen Nebenwirkungen verbunden ist und die gewählte Applikation bei gleicher Wirksamkeit nebenwirkungsärmer und ungefährlicher ist.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beschwerdeführerin die Kosten für die Behandlung der Beschwerdegegnerin mit dem Medikament "Proleukin" bei inhalativer Anwendung zu tragen hat.
Die ... 1932 geborene Beschwerdegegnerin ist Mitglied der Beschwerdeführerin. Sie leidet an einem Nierenzellkarzinom, das operativ behandelt wurde. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2000 beantragte der Facharzt für Urologie Dr. W. ... bei der Beschwerdeführerin die Übernahme der Kosten für eine erfolgversprechende Inhalationstherapie mit Interleukin-2 mit einem Inhalator der Sanitätsfirma S-D aus M. Die Beschwerdeführerin lehnte mit Schreiben vom 3. Januar 2001 die Kostenübernahme ab, da es sich um eine Therapie mit einem Arzneimittel in einer nicht zugelassenen Applikationsform handle. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) habe in einem Gutachten empfohlen, die Kosten für die beantragte inhalative Therapie nicht zu übernehmen. Das Mittel sei beim metastasierenden Nierenzellkarzinom ausschließlich als 24-Stunden-Dauerinfusion für die intravenöse Anwendung zugelassen. Eine Erweiterung der Zulassung auf die inhalative und subkutane Anwendung liege nicht vor. Die Deutsche Krebsgesellschaft habe zwar 1997 positive Empfehlungen zur Kostenübernahme gegeben, diese stütze sich jedoch nicht auf kontrollierte Studien, sondern auf die verminderte Toxizität durch die inhalative Anwendung des Interleukin-2. Ein Wirksamkeitsnachweis liege nicht vor.
Die Beschwerdegegnerin erhob mit Schreiben vom 8. Januar 2001 bei der Beklagten Widerspruch. Am 9. Januar 2001 -- beim Sozialgericht Magdeburg eingegangen am 11. Januar 2001 -- hat sie eine einstweilige gerichtliche Anordnung zur Weiterführung ihrer Inhalationstherapie mit "Proleukin" (Interleukin-2) beantragt. Zur Begründung hat sie sich auf eine Stellungnahme zum Urologischen Winter-Workshop am 29. Januar 2001 über die Immuntherapie des metastasierenden Nierenzellkarzinoms, einen Bericht über die Behandlung in der Urologischen Klinik und Poliklinik des Universitätskrankenhauses E in H aus dem Jahre 1999, eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Immuntherapie vom Juni 2000 und Ausführungen im "Handbuch Medikamente" der Stiftung Warentest berufen.
Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, bei der Behandlung mit inhalativem Interleukin-2 handele es sich nicht um einen anerkannten medizinischen Standard. Die Zulassung des Interleukin-2 beziehe sich lediglich auf den intravenösen Einsatz, verabreicht in einer 24-Stunden-Dauerinfusion. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien neuartige Therapien nur dann von den Krankenkassen zu übernehmen, wenn zuvor eine Empfehlung des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen vorliege. Durch das Erfordernis der vorherigen Prüfung und Anerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solle die Qualität nicht nur der ärztlichen Leistungen im engeren Sinne, sondern alle für die vertragsärztliche Versorgung relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gewährleistet werden. Die Ablehnung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung führe dazu, dass Arzneimittel nicht verordnungsfähig seien; in Anlehnung an diese Wertung müsse davon ausgegangen werden, dass eine eingeschränkte Zulassung für ein bestimmtes Anwendungsgebiet und eine bestimmte Therapieform sich ebenfalls auf die Verordnungsfähigkeit auswirke, denn die Arzneimittelzulassung werde nicht generell, sondern jeweils für bestimmte Anwendungsgebiete erteilt. Neue Verfahren, Erprobungen von Arzneimitteln wie auch Therapieversuche, sollten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt werden.
Mit Beschluss vom 24. Januar 2000 hat das Sozialgericht Magdeburg der Beschwerdeführerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die bei der Beschwerdegegnerin angewandte Inhalationstherapie mit dem Medikament "Proleukin" in Anwendung des Sachleistungsprinzips der Gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin zu finanzieren, soweit der sie behandelnde Vertragsarzt, der Urologe Dr. W. ... aus H. ..., die Behandlung mit diesem Medikament weiterhin verordne. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Beschwerdegegnerin könne die Finanzierung einer Behandlung mit dem Medikament "Proleukin" von der Antragsgegnerin verlangen. Den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes komme keine entscheidende Bedeutung zu. Es regle die Indikation nur fragmentar...