Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Glaubhaftmachung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthaltsrecht aus Art 10 EUV 492/2011. Europarechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
1. Das Aufenthaltsrecht aus Art 10 VO (EU) 492/2011 (juris: EUV 492/2011) von sich in der Ausbildung befindenden Kindern und das daraus abgeleitete Aufenthaltsrecht der Eltern, die die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnehmen, führt zur Nichtanwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB II für die Eltern, weil sich deren Aufenthaltsrecht nicht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
2. Die mit Wirkung vom 29. Dezember 2016 neu in das SGB II aufgenommene Ausschlussreglung in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB II ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unvereinbar mit Europäischem Unionsrecht (Anschluss an LSG Schleswig vom 17.2.2017 - L 6 AS 11/17 B ER = ZFSH/SGB 2017, 291).
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 7. August 2017 wird aufgehoben und der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2017, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der weitergehende Antrag im Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII).
Die Antragsteller sind rumänische Staatsbürger. Der am ... 1979 geborene Antragsteller zu 1. und die am ... 1981 geborene Antragstellerin zu 2. sind miteinander verheiratet; der am ... 2002 geborene Antragsteller zu 3. ist das gemeinsame Kind der Eheleute. Die Antragsteller reisten nach ihren eigenen Angaben Mitte des Monats Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie leben in H. in einer angemieteten Wohnung.
Der Antragsteller zu 1. war in der Zeit vom 25. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 als Tierpfleger bei einer Agrargenossenschaft mit einem monatlichen Vergütungsanspruch von 1.645,00 EUR brutto beschäftigt. Die Antragstellerin zu 2. war vom 27. Juli 2016 bis zum 11. November 2016 als Helferin bei einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden und einem Vergütungsanspruch von 8,50 EUR in der Stunde beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch eine Kündigung des Arbeitgebers beendet. Der Antragsteller zu 3. besucht die 8. Klasse einer Sekundarschule in H ... Hierzu haben die Antragsteller eine Bescheinigung der Schule vom 24. Mai 2017 vorgelegt, wonach der Antragsteller zu 3. diese besucht und dort voraussichtlich bis zum 31. Januar 2019 Schüler sein wird.
Die Antragsteller erhielten bis Ende Juni 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner in einer monatlichen Höhe von 1.194,99 EUR. Mit einem Bescheid vom 20. Juni 2017 lehnte der Antragsgegner gegenüber den Antragstellern eine Weiterbewilligung der Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juli 2017 mit der Begründung ab, die Antragsteller hätten kein Freizügigkeitsrecht und seien vom Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Hiergegen erhoben die Antragsteller anwaltlich vertreten am 27. Juni 2017 Widerspruch. Diesen wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2017 zurück. Hierzu ist ein Klageverfahren beim Sozialgericht Halle (SG) anhängig.
Die Antragsteller haben am 26. Juni 2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG gestellt und vorgetragen: Es bestehe ein Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Zur streitigen Problematik des Leistungsausschlusses für EU-Bürger seien Verfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig.
Das SG hat mit Beschluss vom 7. August 2017 die Stadt H. als örtlichen Sozialhilfeträger zum Verfahren beigeladen.
Mit einem Beschluss vom 7. August 2017 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragsteller seien von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie hätten auch keinen Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 41a Abs. 7 SGB II. Die Leistung stehe insoweit im Ermessen des Antragsgegners und eine Reduzierung des Ermessens auf "Null" liege nicht vor.
Gegen den am 14. August 2017 zugestellten Beschlu...