Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthaltsrecht aus Art 10 EUV 492/2011. Europarechtskonformität. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Nichtanwendbarkeit des Leistungsausschlusses auf Bürger von Unterzeichnerstaaten des EuFürsAbk
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II für Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zwecke der Arbeitsuche ergibt, in der ab dem 29.12.2016 anzuwendenden Neufassung durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und der Sozialhilfe nach dem SGB XII (juris: AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22.12.2016 (BGBl I 2016, 3155) verstößt nicht gegen vorrangiges europäisches Gemeinschaftsrecht.
2. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 SGB XII in der ab dem 29.12.2016 geltenden Neufassung findet keine Anwendung für Bürgerinnen und Bürger von Unterzeichnerstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA - juris: EuFürsAbk).
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 30. Januar 2017 wird abgeändert und der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 28. Dezember 2016 Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches in gesetzlicher Höhe zu erbringen.
Die Beigeladene wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen der Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 29. Dezember 2016 bis zum Ende des Monats April 2017 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern ein Drittel und die Beigeladene hat den Antragstel-lern zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Die am ... 1986 geborene Antragstellerin zu 1. ist in Angola geboren und portugiesische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben im März 2013 nach Deutschland ein. Die am ... 2006 geborene Antragstellerin zu 2. und der am ... 2009 geborenen Antragsteller zu 3. sind die Kinder der Antragstellerin zu 1. und ebenfalls portugiesische Staatsangehörige. Der Vater der Kinder hält sich nach den Angaben der Antragstellerin zu 1. in Angola auf. Die Antragsteller bewohnen eine im Februar 2014 von der Antragstellerin zu 1. angemietete Wohnung in der H. Straße in H ... Für Unterkunft und Heizung sind monatlich 339,61 EUR für Miete und Nebenkostenvorauszahlung und 64,89 EUR als Vorauszahlung für Heizung und Wassererwärmung aufzuwenden. Insoweit haben die Antragsteller den Leistungsspruch an die Vermieterin abgetreten.
Die Antragstellerin zu 1. war vom 11. September 2015 bis 7. November 2015 bei der Firma K. GmbH in G. beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag war vereinbart, dass sie als Reinigungskraft in einem R. Markt in K. jeweils montags bis samstags für 1,5 Stunden arbeiten sollte. Als Vergütung war ein Stundenlohn von 9,55 EUR vereinbart. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. Oktober 2015. Darüber hinaus war die Antragstellerin zu 1. vom 1. bis 31. Oktober 2015 als Küchenhilfe in einem Restaurant in P. (in der Nähe von K.) beschäftigt. Vereinbart war eine Arbeitszeit von 50 Stunden im Monat und eine Vergütung von 9 EUR pro Stunde. Dieses Arbeitsverhältnis endete ebenfalls durch eine Kündigung seitens des Arbeitgebers. Aus diesen beiden Beschäftigungen erzielte die Antragstellerin zu 1. im Oktober 2015 Einkommen in Höhe von insgesamt 636,74 EUR (186,78 EUR als Reinigungskraft und 450 EUR als Küchenhilfe). Im November 2015 erzielte die Antragstellerin zu 1. aus der Beschäftigung als Reinigungskraft ein Einkommen von 364,73 EUR.
Die Antragstellerin zu 2. ist Schülerin und besucht die Grundschule H. Straße in H ... Nach dem von dieser Schule erteilten Halbjahreszeugnis der 4. Schulklasse vom 23. Januar 2017 über den Schulbesuch im Schuljahr 2016/2017 erscheint die Antragstellerin zu 2. regelmäßig zum Unterricht. Der Antragsteller zu 3. besucht seit dem Beginn des Schuljahres 2016/2017 ebenfalls regelmäßig die erste Klasse der Grundschule H. Straße. Die Antragstellerin zu 2. und der Antragsteller zu 3. erhalten Kindergeld in Höhe von jeweils monatlich 190 EUR bis Dezember 2016 sowie 192 EUR ab Januar 2017.
Die Beteiligten haben bereits mehrere einstweilige Rechtsschutzverfahren geführt. Zuletzt hat der Senat den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen (wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 24. August 2016, L 2 AS 449/16 B ER verwiesen, der den Be...