Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Nichtberücksichtigung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bei Pfändung. Pflicht des Grundsicherungsträgers zur Unterstützung beim Antrag nach § 850i ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Werden Einkünfte des Leistungsberechtigten aus Vermietung und Verpachtung gepfändet, stehen sie ihm nicht als "bereites Mittel" zur Deckung des Lebensunterhaltes zur Verfügung, sodass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen nach dem SGB 2 als Zuschuss durch den Grundsicherungsträgers zu erbringen sind.

2. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind im Rahmen des § 851b ZPO der Pfändung unterworfen. Eine Unpfändbarkeit folgt weder aus §§ 811, 850 ff ZPO noch aus § 765a ZPO oder § 54 SGB 1 analog.

3. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung unterfallen nach vorläufiger Auffassung des Senats nicht der Regelung des § 850i ZPO.

4. Hält der Grundsicherungsträger ein Vorgehen gemäß § 850i ZPO für erfolgversprechend, hat er den Leistungsberechtigten so zu unterstützen, dass dieser in der Lage ist, seine Rechte geltend zu machen. Denn dazu ist ein schlüssiger, die Voraussetzungen für die Gewährung des geltend gemachten pfändungsfreien Anteils darlegender Antrag beim Amtsgericht zu stellen.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, das ihn verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig höhere Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 5. März bis 31. August 2012, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu bewilligen und an ihn auszuzahlen.

Der am ... 1963 geborene Antragsteller bewohnt eine 24,22 qm große Einzimmerwohnung, für die er eine monatliche Bruttowarmmiete i.H.v. 210 EUR zu zahlen hat. Er ist zudem Eigentümer eines in J. gelegenen Grundstücks. Dieses erwarb er 1996 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, 2005 kaufte er dieser ihren Miteigentumsanteil ab. Das auf dem Grundstück gelegene Haus ist vermietet. Der Antragsteller erzielt daraus Einnahmen i.H.v. 162 EUR (zzgl. Nebenkostenabschlägen i.H.v. 39,18 EUR) für die Vermietung von Räumlichkeiten zum Betrieb eines Friseursalons sowie 300 EUR (zzgl. Nebenkostenabschlägen i.H.v. 80 EUR) für die Vermietung einer Wohnung. Das Grundstück ist mit einer Grundschuld zu Gunsten der Kreissparkasse A.-B. i.H.v. 102.258,37 EUR belastet. Die dieser zu Grunde liegenden Darlehensverbindlichkeiten bediente der Antragsteller zuletzt mit monatlich 460 EUR.

Am 1. Dezember 2011 wurde dem Antragsteller ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Kreissparkasse A.-B. zum Zwecke der Zwangsvollstreckung in die Nettokaltmieteinnahmen i.H.v. monatlich 462 EUR wegen einer Forderung von 105.785,47 EUR zugestellt. Die Mieter zahlen seit diesem Zeitpunkt die Grundmiete direkt an die Kreissparkasse, die Nebenkostenabschläge weiterhin an den Antragsteller.

Mit Bescheid vom 22. Februar 2012 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 202,82 EUR/Monat für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2012. Auf den Bedarf (Regelleistung: 374 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU)) rechnete er Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 381,18 EUR an. Über den seitens des Antragstellers hiergegen eingelegten Widerspruch hat der Antragsgegner noch keine Entscheidung getroffen.

Am 5. März 2012 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab Antragstellung bis 31. August 2012 monatliche Grundsicherungsleistungen i.H.v. 584 EUR zu gewähren. Die Mieteinnahmen seien nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen, da die Rückgängigmachung der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden könne.

Mit Beschluss vom 30. März 2012 hat das Sozialgericht dem Antrag in vollem Umfang stattgegeben. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, die Mieteinnahmen stünden nicht als bereites Mittel zur Verwendung für den laufenden Bedarf zur Verfügung. Dem Antragsteller sei die Rückgängigmachung der Pfändung durch zivilrechtliches Vorgehen gegen den Pfändungs-und Überweisungsbeschluss vorliegend nicht im Rahmen seiner Selbstobliegenheit nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II zuzumuten. Für eine Aufhebung des Beschlusses bzw. die Festlegung einer Pfändungsfreigrenze seien keine offenkundigen Erfolgsaussichten ersichtlich. Die Pfändung der Nettokaltmieten habe nach § 851b Absatz 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erfolgen dürfen. Auch eine besondere Härte nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO liege nicht vor. Unter Bezug auf die Rechtsprechun...

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