Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. nachträgliche Aufhebung der Bewilligung. Beschwerdemöglichkeit. rechtliches Gehör. vorherige Anhörung erforderlich. intendiertes Ermessen
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung von PKH nach § 124 ZPO wegen Fehlens der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ist die Beschwerde nach § 172 SGG zulässig. § 172 Abs 3 Nr 2 Buchst a SGG steht dem nicht entgegen (ebenso: LSG Halle vom 31.3.2016 - L 4 AS 52/16 B = NZS 2016, 559).
2. Vor einer Entscheidung nach § 73a SGG iVm § 124 ZPO ist der Antragsteller anzuhören und gegebenenfalls Ermessen auszuüben. Ein intendiertes Ermessen nach § 124 Abs 1 Nr 3 ZPO ("soll") ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Antragsteller von Anfang an angegeben hat, dass er verheiratet und getrennt lebend sei, und das Sozialgericht weitere Ermittlungen zum Einkommen und Vermögen der getrenntlebenden Ehefrau erst zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 124 ZPO vornimmt.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 28. Oktober 2015 wird aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
Der Kläger bezieht eine Rente für Bergleute sowie ergänzend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Er lebt mit seinem Sohn in einem Eigenheim. Die Ehefrau des Klägers lebt nicht mit im Haushalt. Sie schloss mit der Allianz einen Vertrag über eine Lebensversicherung ohne Verwertungsausschluss.
Der Kläger hat für ein Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Halle (S 8 R 458/12) über Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) am 25. Juni 2012 PKH beantragt. Dabei hat er angegeben, dass er verheiratet ist und seit 2003 getrennt von seiner Ehefrau lebt. Nicht mitgeteilt hat er, dass seine Ehefrau eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte.
Auf seinen Antrag hin hat das Sozialgericht ihm zunächst mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 ratenfreie PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. bewilligt.
Mit Urteil vom 9. Mai 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Am 27. Mai 2015 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Kostenfestsetzung in Höhe von 677,59 EUR beantragt. Das Sozialgericht hat mit Schreiben vom 1. Juli 2015 mitgeteilt, dass es die Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen beabsichtige, und aktuelle Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers abgefordert. Mit Schreiben vom 4. August 2015 hat es darauf hingewiesen, dass sämtliche Angaben zur Ehefrau fehlten. Dabei hat das Sozialgericht aufgrund der Vorlage aktueller Kontoauszüge Kenntnis von der Lebensversicherung der getrennt lebenden Ehefrau erlangt. Mit Schreiben vom 21. September 2015 hat das Sozialgericht weitere Unterlagen über die Lebensversicherung der Ehefrau angefordert. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung hat zum 1. September 2015 6.290,40 Euro betragen.
Ohne weitere Anhörung des Klägers hat das Sozialgericht die Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 aufgehoben. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten nicht vorgelegen. Der Kläger habe einen Unterhaltsanspruch gegen seine getrennt lebende Ehefrau. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung liege über dem Schonvermögen.
Dagegen hat der Kläger am 20. November 2015 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Er beziehe SGB II-Leistungen. Von der Lebensversicherung seiner getrennt lebenden Ehefrau habe er keine Kenntnis gehabt.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 28. Oktober 2015 aufzuheben.
Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens zum Aktenzeichen S 8 R 458/12 und des Prozesskostenhilfeheftes, welche sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingelegt worden, § 173 SGG.
1.
Die Beschwerde ist auch nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2a SGG ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Ablehnung der Bewilligung von PKH, sondern um die nachträgliche Aufhebung einer bewilligenden PKH-Entscheidung nach § 73a SGG in Verbindung mit § 124 Zivilprozessordnung (ZPO), die vom Gesetzeswortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 2a SGG nicht umfasst wird. Eine entsprechende Anwendung einer den Rechtsschutz ausschließenden Ausnahmeverfahrensvorschrift ist nicht möglich (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2016, L 4 AS 52/16 B; Beschluss vom 29. August 2014, L 2 AS 226/14 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 19. August 2015, L 11 AS 533/15 B PKH). Gegen eine ana...