Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beitreibensaufforderung: gerichtliche Zustellung per Telefax ohne Empfangsbekenntnis. Heilung des Zustellungsmangels. keine Rechtswirkung wegen fehlender richterlicher Unterschrift
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übermittlung eines Schriftstücks per Fax (ohne Beifügung eines Empfangsbekenntnisses) genügt mangels Annahmebestätigung des Adressaten nicht den Anforderungen an eine rechtswirksame Zustellung iSv § 63 SGG.
2. Der Zustellungsmangel kann nur durch eine zuverlässige Möglichkeit der Kenntnisnahme geheilt werden. Diese setzt bei Rechtsanwälten eine entsprechende Bereitschaft voraus (vgl BSG vom 21.12.2009 - B 14 AS 63/08 R = FEVS 61, 513).
3. Ein nur mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine(n) Justizangestellte(n) unterzeichnetes Schreiben vermag eine Frist zum Betreiben des Verfahrens gemäß § 102 Abs 2 SGG nicht in Lauf zu setzten (vgl BSG vom 1.7.2010 - Az B 13 R 74/09 R).
Tenor
Die Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Sozialgericht Magdeburg zurückgegeben.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg, mit dem dieses ein sozialgerichtliches Klageverfahren nach § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingestellt und einen Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt hat.
In der Sache wendet sich die Klägerin gegen eine Beschränkung der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) auf die Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 7. Januar 2009, die der Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2008 feststellte. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte er ihr und ihrem am ... 2003 geborenen Sohn Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 7. November 2008 bis 30. April 2009, wobei er die Leistungen im Dezember 2008 um 351 EUR und im Januar 2009 um 81,90 EUR minderte.
Gegen den Sanktionsbescheid und den Bewilligungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Januar 2009 ohne nähere Begründung Widerspruch ein, den der Beklagte jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2009 als unbegründet zurückwies.
Am 18. Juni 2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht "Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 12.12.08 (2) in der Gestalt der Widerspruchsbescheide (2) vom 18.5.09, Az. der Beklagten: 04502BG0033898 W 432/09 und 433/09" erhoben. Eine Begründung hat die Klage nicht enthalten.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2009 hat das Sozialgericht die Klägerin gebeten, die Klage binnen eines Monats zu begründen und den Widerspruchsbescheid in Kopie einzureichen. Nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist hat es nach nochmaliger Erinnerung mit Schreiben vom 21. September 2009 unter dem 12. Oktober nochmals an die Abrechnung der Klagebegründung erinnert. Bei Ausbleiben einer entsprechenden Stellungnahme innerhalb der nächsten drei Monate werde das Verfahren nach § 102 Abs. 2 SGG eingestellt. Dieses Schreiben hat es an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin per Fax gesandt.
Am 28. Dezember 2009 hat dieser beim Sozialgericht Akteneinsicht zur Begründung der Klage beantragt, die ihm mit Schreiben vom 29. Dezember 2009 gewährt wurde. Er könne die Akten während der Dienststunden in der Geschäftsstelle des Sozialgerichts abholen. Die Rückgabe habe innerhalb von fünf Werktagen zu erfolgen. Am 13. Januar 2010 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Akten ausgehändigt bekommen.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2010 hat das Sozialgericht der Klägerin mitgeteilt, das Verfahren sei nach § 102 Abs. 2 SGG eingestellt worden. Die Verwaltungsakten sollten unverzüglich zurückgesandt werden.
Am 21. Januar 2010 hat die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine vorläufige Klagebegründung sei bereits am 4. Januar 2010 in den Hausbriefkasten des Justizzentrums Magdeburg eingeworfen worden. Das Rechtschutzinteresse für die Klage sei nicht entfallen. Zudem liege kein Hinweis auf § 102 Abs. 2 SGG vor. Dem Schreiben hat die Klägerin einen auf den 4. Januar 2010 (vorläufige Klagebegründung) datierten Schriftsatz beigefügt.
Unter dem 21. Januar 2009 hat das Sozialgericht der Klägerin eine Frist für die Beibringung des Nachweises, dass sie die mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 gesetzte Frist nicht schuldhaft versäumt habe, eingeräumt. Diese ließ sie ungenutzt verstreichen. Auf entsprechende Nachfrage des Sozialgerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 10. März 2010 die Einstellung des Verfahrens nach § 102 Abs. 3 SGG beantragt.
Mit Beschluss vom 1. April 2010 hat das Sozialgericht das Verfahren eingestellt und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage gelte entsprechend der Regelung des § 10...