Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens. ergänzende Angaben von Angehörigen. Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes für leichte Tätigkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Der Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens steht nicht entgegen, wenn vom Angehörigen der begutachteten Person lediglich ergänzende Angaben zu den von ihm wahrgenommenen Störungen des Allgemeinbefindens und der Psyche sowie des Ausmaßes der Antriebsstörungen erfolgt sind.

 

Orientierungssatz

Es ist weiterhin von dem Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes auszugehen und daran festzuhalten, dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - ggf unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, "erwerbstätig zu sein" (vgl BSG vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R = BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22, RdNr 26 ff).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

Die 1963 geborene Klägerin durchlief erfolgreich eine Berufsausbildung zum Koch (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1981) und war in der Folgezeit - mit einer Unterbrechung von November 1995 bis Februar 1996 wegen Arbeitslosigkeit und von März 1996 bis Januar 1998 durch eine Tätigkeit als Reinigungskraft - im erlernten Beruf versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 24. Juni 2013 war sie aufgrund einer Brustkrebserkrankung arbeitsunfähig erkrankt und hat seitdem keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt. Die Klägerin bezog bis zum 22. Dezember 2014 Krankengeld und in der Folgezeit bis zum 1. Februar 2015 Arbeitslosengeld. Nachdem die Bundesagentur für Arbeit - nach Angaben der Klägerin - zunächst die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld verweigert habe, habe sie - die Klägerin - ein Klageverfahren beim Sozialgericht Magdeburg (S 41 AL136/15) geführt. Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 9. November 2020 sind sodann Pflichtbeitragszeiten vom 29. Oktober 2018 bis zum 17. Dezember 2019 eingestellt worden. Die Klägerin bezieht nach ihren Angaben seit Juli 2013 eine private Berufsunfähigkeitsrente.

Bei der Klägerin wurde seit dem 8. Juli 2013 - befristet - ein Grad der Behinderung von 50 - ohne Merkzeichen - anerkannt.

Am 14. August 2014 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Aufgrund der Brustkrebserkrankung mit Chemotherapie und Bestrahlung bestünden Funktionseinschränkungen am ganzen Körper, Bewegungseinschränkungen durch Schmerzen in den Beinen, ein Taubheitsgefühl und Kribbeln auch in den Händen, Schmerzen im Brustbereich, zeitweilige Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes und Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes. Deshalb könne sie keinerlei Arbeiten mehr verrichten. Die Beklagte zog zunächst den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik K. vom 19. Mai 2014 über die vom 22. April bis zum 13. Mai 2014 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Danach sei ein operativ, aktinisch und zytostatisch behandeltes Mammakarzinom rechts zu berücksichtigen. Die Klägerin sei arbeitsunfähig entlassen worden. Aus gynäkologisch-onkologischer Sicht sei sie perspektivisch für eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit - auch als Köchin - unter der Voraussetzung einer normal verlaufenden Rekonvaleszenz sowie Rezidivfreiheit und unter Vermeidung von schwerem Heben und Tragen, Überkopfarbeiten, Hitze, starken Temperaturschwankungen und besonderen Belastungen des rechten Armes vollschichtig einsetzbar.

Die Beklagte holte sodann das Gutachten des A. vom 19. März 2015 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin an diesem Tag ein. Er kam zu dem Ergebnis, dass das qualitative und quantitative Leistungsvermögen der Klägerin aktuell durch die Folgen der Primärtherapie des Mammakarzinoms eingeschränkt sei. Im Vordergrund stünden eine leichte depressive Episode mit eingeschränkter Krankheitsverarbeitung, Angst und Panikattacken, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen sowie eine sensible Polyneuropathie der Hände und Füße nach Polychemotherapie mit Störung der Feinmotorik der Hände und mittelgradiger Schultergelenksarthropathie rechts nach operativem Eingriff an der Axilla und nachfolgender adjuvanter Strahlentherapie. Durch die genannten Störungen werde das Leistungsvermögen insgesamt mittel- bis hochgradig eingeschränkt. Auf absehbare Zeit werde eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit von mehr als drei Stunden pro Tag weder im bisherigen Beruf als Köchin noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sein. Die Klägerin könne auch eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge