Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung - Wegefähigkeit
Orientierungssatz
1. Kann der Versicherte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitstäglich noch sechs Stunden tätig sein und liegt weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, so ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB 6 ausgeschlossen. In einem solchen Fall ist der Rentenversicherungsträger zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes nicht verpflichtet (BSG Urteil vom 11. 12. 2019, B 13 R 7/18 R).
2. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Ein sog. Katalogfall liegt nicht vor, wenn der Versicherte täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von 20 Minuten zu Fuß zurücklegen kann.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. November 2018 geändert und die Klage auch im Übrigen abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).
Die am ... 1974 geborene Klägerin absolvierte vom 1. September 1990 bis zum 25. Januar 1994 eine Banklehre, schloss diese aber nicht erfolgreich ab. Sie war vom 4. Oktober bis zum 23. Dezember 1994, vom 1. Januar bis zum 28. April 1996 und zuletzt vom 1. April 2004 bis zum 30. November 2005 versicherungspflichtig beschäftigt. Sie übte vom 1. August 2002 bis zum 28. Februar 2003 und vom 1. Januar bis zum 30. April 2006 eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung aus. Ausweislich der Gewerbeanmeldung und -abmeldung vom 7. Juli 2011 bzw. 22. Juli 2014 war die Klägerin vom 18. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2014 selbstständig erwerbstätig in der Tätigkeit „Mobile Kosmetik, kosmetische Fußpflege, Nageldesign, Verkauf diverser Produkte“. Ab dem 1. April 2011 weist der Versicherungsverlauf der Klägerin durchgehend Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeit für ihren am ... 1999 geborenen Sohn C. K. aus, für den ab dem 1. November 2004 die Pflegestufe I, vom 1. Januar 2013 an mit einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz, und im Rahmen der Überleitung ab dem 1. Januar 2017 der Pflegegrad 3 festgestellt worden ist. Dieser Sohn der Klägerin besuchte bis Sommer 2018 eine Schule für Menschen mit einem besonderen Förderbedarf und ist seit dem 1. September 2018 bis nachmittags in einer Werkstatt für behinderte Menschen (im Folgenden: WfbM). Die Klägerin hat unter dem 11. Dezember 2019 auf die gerichtliche Anfrage zu der für C. K. von ihr erbrachten Pflege mitgeteilt, er werde um 6.15 Uhr von einem Fahrdienst abgeholt und um 16.15 Uhr wieder nach Hause gebracht. Nachmittags werde er von ihr und ihrem Ehemann betreut. Es sei keine körperlich anstrengende Pflege erforderlich. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin hierzu ergänzt, ihr Sohn sei circa 60 kg schwer bei 1,57 m Körpergröße. Er wolle ab und zu zeigen, dass er ein Mann sei, stelle für sie aber keine körperliche Bedrohung dar.
Bei der Klägerin ist seit dem 22. Juli 2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt.
Die Klägerin beantragte am 11. November 2014 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zunächst den Entlassungsbericht der MEDIAN Klinik L. vom 9. Dezember 2014 über die stationäre Rehabilitation vom 16. September bis zum 21. Oktober 2014 bei. Die Klägerin habe angegeben, sich im Wesentlichen durch Schmerzen, die alleinige Betreuung ihrer Kinder und die Pflege ihres behinderten Sohnes, der über 80-jährigen Großeltern und das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter belastet zu fühlen. Für eine leichte bis mittelschwere körperliche Arbeit (auch auf dem Abschlussbogen über die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ist leichte bis mittelschwere körperliche Arbeitsschwere angekreuzt) überwiegend im Gehen, im Stehen und im Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschichten bestehe eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich. Grund für die Leistungsminderung sei vordergründig die rezidivierende depressive Störung sowie die chronische Schmerzstörung bei Multimorbidität und insbesondere einer chronischen Lumboischialgie und einem Zustand nach zwei Bandscheibenoperationen. Empfohlen würden eine ambulante Langzeitpsychopharmakotherapie, eine ambulante Langzeitpsychotherapie und eine neue Leistungseinschätzung in zwölf Monaten.
Die Beklagte holte das Gutachten von der Nervenärztin Dr. med. habil. G. vom 7. April 2015 (Untersuchung der Klägerin am 31. März 2015) ein. Die Klägerin habe angegeben, im Jahr 2008 eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen zu haben, da sie wegen ihres behinderten Sohnes die Nachmittage zur freien Verfügung haben müsse. Sie sei mit einer Wirbelsäulenverkr...