Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Auskunftsersuchens gegenüber Dritten gem § 60 SGB 2. unzureichende Begründung des besonderen öffentlichen Interesses. vermutete Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft gem § 7 Abs 3a SGB 2. Kostenfreiheit für den Dritten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Durchsetzung von Auskunftspflichten Dritter gem § 60 SGB 2 setzt ein besonderes öffentliches Interesse, das über den generellen Zweck des Auskunftsanspruchs hinausgeht, voraus.

2. Dieses besondere öffentliche Interesse ist gem § 86a Abs 2 Nr 5 SGG durch eine auf den Einzelfall bezogene Darlegung zu begründen.

3. Eine beabsichtigte Verringerung des Verwaltungsaufwands ist in der Regel nicht geeignet, eine Vollzugsanordnung zu rechtfertigen; grundsätzlich erscheint denkbar, dass auch im Rahmen der Sozialleistungsverwaltung fiskalische Interessen geeignet sein können, ein solches besonderes Interesse zu begründen.

4. Die bestrittene Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB 2 rechtfertigt die Gleichstellung desjenigen, gegen den ein Auskunftsanspruch gem § 60 SGB 2 geltend gemacht wird, mit den in § 183 SGG genannten Personen, obwohl dieser als Dritter (noch) nicht Leistungsempfänger ist.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Dezember 2009 wird aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. September 2009 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner hat die der Antragstellerin notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Anordnung des Sofortvollzugs eines auf Auskunft gerichteten Bescheids des Antragsgegners.

Die am ... 1953 geborene Antragstellerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer i.H.v. 661,50 €/Monat. Sie ist seit 21. Februar 2005 als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 40 anerkannt. Zusammen mit Herrn H. H. bewohnt sie seit April 1996 eine 80 qm große Drei-Zimmer-Wohnung in B.. Herr H. wurde am ... 1959 geboren und bezieht vom Antragsgegner mit Unterbrechungen seit Januar 2005 Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Zwischen der Antragstellerin und Herrn H. bestand nach eigenen Angaben bis Februar 2004 eine eheähnliche Gemeinschaft. In den Anträgen auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gaben Herr H. und die Antragstellerin seit dem Zeitpunkt der Erstantragstellung unter dem 25. Oktober 2004 an, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zu führen bzw. “Lebenspartner„ zu sein. Beide unterschrieben die Leistungsanträge. Die Leistungsbewilligungen bzw. -ablehnungen erfolgten an Herrn H. als Leistungsempfänger jeweils unter Anrechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente der Antragstellerin, mit der er nach Ansicht des Antragsgegners eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Mit Schreiben vom 1. November 2008 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, es liege bereits seit Jahren keine eheliche Lebensgemeinschaft mit mehr Herrn H. vor. Sie erhalte vom Antragsgegner keine Leistungen und sei deswegen auch nicht bereit, weiterhin Auskünfte über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben.

Unter dem 29. Juni 2009 stellte Herr H. einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II. Er trug wiederum die Antragstellerin als “2. Person„ im Kurzantrag ein. Diese unterzeichnete den Antrag jedoch nicht. In diesem Antrag gab Herr H. als Vermögen der Antragstellerin einen “Schatzbrief Index„ bei der “A. „ mit einem Wert von 12.000,00 € an. Am 3. Juli 2009 teilte Herr H. in einem persönlichen Gespräch dem Antragsgegner mit, er habe den Rentenbescheid und die Kontoauszüge der Antragstellerin heimlich kopiert. Diese sei der Ansicht, sie habe keine Leistungen beantragt, da sie Rente beziehe. Sie müsse daher keine Unterlagen zum Vermögen vorlegen.

Mit Schreiben vom 22. Juli und 14. August 2009 forderte der Antragsgegner Herrn H. auf, diverse Unterlagen - die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerin betreffend - zu den Akten zu reichen.

In einem persönlichen Gespräch am 4. August 2009 machte die Antragstellerin dem Antragsgegner gegenüber deutlich, sie lebe mit Herrn H. nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Sie habe während eines Krankenhausaufenthaltes im Jahr 2004 einen Ägypter kennengelernt, den sie demnächst heiraten wolle. Sie machte zudem Ausführungen zu den Wohnverhältnissen mit Herrn H.. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des vom Antragsgegner gefertigten Gesprächsvermerks (Bl. 1050 f. der Verwaltungsakte) verwiesen. Zu ihren Vermögensverhältnissen gab die Antragstellerin an, eine Geldanlage bei der D. -Bank i.H.v. 6.800,00 € sowie ein Depot bei der D. Bank (Wert ca. 5.000,00 €) seien 200...

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