Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsentziehung wegen Nichtvorlage angeforderter ungeschwärzter Kontoauszüge der verstorbenen Pflegemutter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entziehung von Leistungen nach dem SGB 2 ist bei einer Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten gem §§ 60, 66 SGB 1 zulässig.

2. Der Leistungsträger kann Kontoauszüge aus früheren Bewilligungsabschnitten anfordern, auch wenn die vorgelegten aktuellen Kontoauszüge kein Guthaben ausweisen. Gegebenenfalls können früher zugeflossene Geldmittel die aktuelle Hilfebedürftigkeit mindern oder aufheben.

3. Die Anforderung von Kontoauszügen für einen Zeitraum von ca drei Jahren kann im Einzelfall verhältnismäßig sein (hier: unterlassene Mitteilung des Todes der zuvor als leibliche Mutter bezeichneten Pflegemutter, deren Konto der Leistungsbezieher früher genutzt hat und nach deren Tod weiter nutzt, sowie begründeter Verdacht der bewussten Verschleierung der Geldflüsse nach dem Tod).

4. Eine ggf rechtswidrige Anforderung von ungeschwärzten Kontoauszügen ist unbeachtlich, wenn der Leistungsbezieher sich nicht auf eine Verletzung des Sozialdatenschutzes beruft und generell die Vorlage von Kontoauszügen verweigert (hier: unglaubhafte Behauptung fehlender Zugriffsmöglichkeiten auf die Kontoauszüge).

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung von Leistungen für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2010. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner hat mit Bescheid vom 26. Juli 2010 die für diese Zeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i.H.v. 611,40 EUR/Monat vorläufig bewilligten Leistungen entzogen.

Der am September 1951 geborene Antragsteller bezieht seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Diese waren bis Januar 2010 auf ein Konto bei der Stadtsparkasse M. (Kontonummer) überwiesen worden. Kontoinhaberin war die am 12. November 2007 verstorbene A. M., welche nach den früheren Angaben des Antragstellers seine Mutter gewesen sein sollte. Antragsgemäß ist ab Februar 2010 die Zahlungsweise auf Postscheckverfahren umgestellt worden. Ab Juni 2010 sind die Leistungen auf ein neu eröffnetes Konto des Antragstellers bei der bank überwiesen worden.

Im September 2009 erhielt der Antragsgegner zufällig Kenntnis vom Tod der - vermeintlichen - Mutter. Im Rahmen eines Weiterbewilligungsantrags gab er dem Antragsteller unter dem 18. November 2009 auf, die "Anlage VM" sowie alle Kontoauszüge ab dem Sterbedatum der Mutter lückenlos vorzulegen, ferner eine Sterbeurkunde sowie Nachweise über eine eventuelle Erbschaft. Er wies auf die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 f. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) und eine mögliche Leistungsversagung hin. Der Antragsteller legte am 30. November 2009 eine Sterbeurkunde vor. Er gab an, die Verstorbene sei nur seine "Pflegemutter" gewesen; ein Testament existiere nicht. Er sei nicht verpflichtet, weitere Informationen zu erteilen. In der Anlage VM gab er an, kein eigenes Girokonto zu haben.

Daraufhin bewilligte der Antragsgegner von Dezember 2009 bis Mai 2010 Leistungen bis zur endgültigen Klärung noch offener Sachverhalte nur noch vorläufig (Bescheid vom 1. Dezember 2009, Änderungsbescheid vom 11. Januar 2010). Das Amtsgericht M. teilte dem Antragsgegner unter dem 7. Dezember 2009 mit, Vorgänge nach der Erblasserin seien bislang nicht ermittelt worden. Nach Auskunft der Stadtsparkasse M. vom 21. Dezember 2009 sei der Antragsteller Verfügungsberechtigter über das auch nach ihrem Tod unter dem Namen der Verstorbenen ("A. M.") geführte Konto.

Auf zwei nochmalige Anforderungen der vollständigen Kontoauszüge ab 12. November 2007 der verstorbenen A. M. antwortete der Antragsteller unter dem 4. Februar 2010, er kenne keine Person mit dem Namen M. und könne daher keine Auskünfte geben. Nach Richtigstellung des Schreibfehlers seitens des Antragsgegners gab er unter dem 24. Februar 2010 an, hinsichtlich des Girokontos der Verstorbenen müsse er leider auf die gesetzlichen Erben verweisen. Auf weiteres Verlangen des Antragsgegners legte er den ersten Kontoauszug seines neu eröffneten Kontos bei der bank vom 3. Mai 2010 vor (keine Kontobewegungen, Guthaben 0,00 EUR). Auf die abermalige Erinnerung des Antragsgegners u.a. wegen der Vorlage der Kontoauszüge der Stadtsparkasse M. erwiderte der Antragsteller unter dem 26. Mai 2010: Er habe sich bereits umfassend eingelassen, sodass kein weiterer Erklärungsbedarf bestehe. Für weitere Auskünfte sei die Erbengemeinschaft zuständig.

Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheid vom 2. Juni 2010 vorläufig Leistungen vom 1. Juni bis 30. November 2010 i.H.v. 611,50 EUR/Monat. Gleichzeitig forderte er lückenlose und ungeschwärzte Kontoauszüge von dem Konto der Frau M. ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge