Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über die Verrechnung bestandskräftiger Beitragsforderungen mit Rentenzahlungen. aufschiebende Wirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur teilweisen Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Verrechnungsentscheidung bei überwiegendem Aussetzungsinteresse in Höhe des sozialhilferechtlichen Bedarfs (§ 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG).
2. Zur Aufrechnung von Geldleistungen nach § 51 Abs 2 SGB I mittels Verwaltungsakt (vgl BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 = BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4).
3. Die in § 51 Abs 2 SGB I festgelegte (Nachweis-)Obliegenheit des Leistungsberechtigten beseitigt den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 S 1 SGG) zwar nicht, weshalb das Gericht ermitteln muss, ob infolge der Aufrechnung oder der Verrechnung Hilfebedürftigkeit eintritt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gesetz dem Antragsteller als Leistungsberechtigtem in den §§ 52, 51 Abs 2 SGB I eine gesteigerte Mitwirkungspflicht iS einer Obliegenheit zum Nachweis von Hilfebedürftigkeit auferlegt.
Orientierungssatz
Bei der Entscheidung über die Verrechnung bestandskräftiger Beitragsforderungen mit Rentenzahlungen handelt es sich um eine Entscheidung zur Anforderung von Beiträgen iS des § 86a Abs 2 Nr 1 SGG (vgl LSG Schleswig vom 14.2.2011 - L 5 R 17/11 B ER, entgegen LSG Halle vom 2.9.2010 - L 3 R 347/09 B ER, wonach § 86a Abs 2 Nr 3 SGG einschlägig ist).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. September 2015 abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin einen monatlichen Betrag von mehr als ... EUR verrechnet.
Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat 3/7 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren dem Grunde nach zu erstatten.
Im Beschwerdeverfahren haben sich die Beteiligten keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine teilweise Verrechnung seiner Rentenauszahlungsansprüche mit Ansprüchen der AOK Sachsen-Anhalt gegen ihn, die aus einer Inanspruchnahme wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge herrühren.
Der am ... 1959 geborene Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin eine Regelaltersrente in Höhe von monatlich ... EUR seit Oktober 2015.
Nachdem die AOK Sachsen-Anhalt bereits im Jahr 2001 gegenüber der Antragsgegnerin eine entsprechende Forderung vorgemerkt hatte, machte sie mit Schreiben vom 5. März 2015 ein Verrechnungsersuchen über eine Forderung gegen den Antragsteller auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. November 1999 bis 31. Juli 2000 in Höhe von ... EUR (Hauptforderung: ... EUR; Säumniszuschläge und Nebenkosten: ... EUR) geltend. Die Forderung erhöhe sich um weitere Säumniszuschläge. Im vorgenannten Zeitraum war der Antragsteller Inhaber der Fa. A. H.- und B. gewesen.
Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller im Hinblick auf die beabsichtigte Verrechnung an und wies auf die Möglichkeit hin, die Hilfebedürftigkeit nachzuweisen. Der Antragsteller antwortete, dass die Ansprüche auf Altersrente weit unter der Pfändungsfreigrenze lägen. Zudem habe er keine Kenntnis über Grund und Höhe des Forderungsbegehrens der AOK Sachsen-Anhalt.
Die Antragsgegnerin bat daraufhin die AOK Sachsen-Anhalt um Übersendung von Nachweisen zur Rechtmäßigkeit der Forderung. Jene übersandte daraufhin (auszugsweise) ein Gutachten vom 14. Juli 2000 in dem Insolvenzverfahren gegen den Antragsteller als Inhaber der Fa. A. H.- u. B. sowie Beitragsnachweise aus dem Zeitraum November 1999 bis Januar 2000 und April bis Juli 2000. Zudem wurde das Pfändungsprotokoll der letzten am ... 2014 erfolglos gebliebenen Zwangsvollstreckung übersandt.
Mit Bescheid vom 18. August 2015 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass der bestandskräftig festgestellte Anspruch der AOK Sachsen-Anhalt in Höhe von 13.310,63 EUR zzgl. weiterer Säumniszuschläge und Zinsen mit seiner Altersrente nach § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) in Verbindung mit § 51 Abs. 2 SGB I verrechnet werde. Die Verrechnung erfolge ab dem 1. Oktober 2015 in Höhe der Hälfte der monatlichen Leistung bis zur Tilgung der Forderung. Ab dem 1. Oktober 2015 würden zunächst ... EUR verrechnet, so dass eine Leistung von ... EUR verbleibe.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 3. September 2015 Widerspruch und führte aus, ein vollstreckbarer Titel sei ihm nicht bekannt. Gegenüber der AOK Sachsen-Anhalt sei Verjährungs- und Verwirkungseinrede erhoben worden. Er selbst verfüge über kein Vermögen und sei daher auf die volle Altersrente angewiesen.
Mit Bescheid vom 3. September 2015 änderte die Antragsgegnerin den Auszahlungsbetrag der Regelal...