Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung. Herabsetzung von laufenden Leistungen. aufschiebende Wirkung. hinreichende Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheids. Obliegenheit zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine Verrechnung ist eine Herabsetzung von laufenden Leistungen, sodass § 86a Abs 2 Nr 3 SGG anwendbar ist (so bereits LSG Halle Beschluss vom 2.9.2010 - L 3 R 347/09 B ER; aA, für eine Anwendbarkeit von § 86a Abs 2 Nr 1 SGG: LSG Schleswig Beschluss vom 14.2.2011 - L 5 R 17/11 B ER, LSG Halle Beschluss vom 21.3.2016 - L 1 R 471/15 B ER).
Orientierungssatz
1. Zur hinreichenden Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheids.
2. Die in § 51 Abs 2 SGB 1 festgelegte (Nachweis-)Obliegenheit des Leistungsberechtigten beseitigt den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 S 1 SGG) zwar nicht, weshalb das Gericht ermitteln muss, ob infolge der Aufrechnung oder der Verrechnung Hilfebedürftigkeit eintritt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gesetz dem Antragsteller als Leistungsberechtigtem in den §§ 52, 51 Abs 2 SGB 1 eine gesteigerte Mitwirkungspflicht iS einer Obliegenheit zum Nachweis von Hilfebedürftigkeit auferlegt.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 20. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine teilweise Verrechnung seiner Rentenauszahlungsansprüche mit Beitragsansprüchen der AOK Sachsen-Anhalt.
Der am ... 1950 geborene Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin seit dem 1. August 2013 eine Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von zunächst 756,83 EUR brutto. Nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge erhielt der Antragsteller monatlich 679,25 EUR ausgezahlt (Bescheid vom 27. September 2013).
Nachdem die AOK Sachsen-Anhalt bereits im Jahr 2001 gegenüber der Antragsgegnerin eine entsprechende Forderung vorgemerkt hatte, machte sie mit Schreiben vom 25. Juni 2013 ein erneutes Verrechnungsersuchen über eine Forderung gegen den Antragsteller auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis zum 15. November 1999 in Höhe von 89.812,87 EUR (Hauptforderung: 32.084,87 EUR; Säumniszuschläge und Nebenkosten: 57.728,00 EUR) geltend. Die Forderung entspreche den eingereichten Beitragsnachweisen. Eine Verjährung sei durch Pfändungsversuche am 20. März 2001, 2. Februar 2005, 9. September 2008 und am 15. Juli 2010 nicht eingetreten.
Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 8. Oktober 2013 im Hinblick auf die beabsichtigte Verrechnung an und wies auf die Möglichkeit hin, die Hilfebedürftigkeit nachzuweisen. Der Antragsteller antwortete hierauf, er weise das Schreiben in der Sache zurück und bitte um "Nachweis der gesetzlichen und richterlichen Befugnis".
Mit Bescheid vom 8. November 2013 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass der bestandskräftig festgestellte Anspruch der AOK Sachsen-Anhalt in Höhe von 89.812,87 EUR zzgl. weiterer Säumniszuschläge und Zinsen teilweise mit seiner Altersrente nach § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I) in Verbindung mit § 51 Abs. 2 SGB I verrechnet werde. Die Verrechnung erfolge ab dem 1. Januar 2014 in Höhe der Hälfte der Rentenleistung bis zur Tilgung der Forderung monatlich in Höhe von 339,62 EUR. Die verbleibende Leistung betrage 339,63 EUR.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 5. Dezember 2014 Widerspruch. Er weise den Bescheid wegen Anmaßung und Überheblichkeit zurück. Über eine Erstellung einer Bedarfsbescheinigung durch den Sozialhilfeträger wolle er nachdenken.
Mit Änderungsbescheid vom 9. Dezember 2014 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller aufgrund der Mitteilung der Krankenkasse, dass dieser freiwillig krankenversichert sei, eine Rente in Höhe von 756,83 EUR zuzüglich des Zuschusses zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 55,25 EUR (insgesamt 812,08 EUR).
Mit Schreiben vom 21. Januar 2014 erklärte die Antragsgegnerin, momentan von der beabsichtigten Verrechnung ab dem 1. Januar 2014 Abstand zu nehmen, und bat um Mitteilung bezüglich der Bedarfsbescheinigung bis zum 21. Februar 2014. Mit Schreiben vom 17. Februar 2014 erklärte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin "an Eidesstatt" als seine Einnahmen die Rente in Höhe von 812,08 EUR und als seine Ausgaben "Miete und Nebenkosten Wärme, Wasser, Abwasser, Sonstiges" in Höhe von 350,00 EUR, "Krankenversicherung und Pflege" in Höhe von 161,00 EUR, "sonstige Gesundheitskosten" in Höhe von 85,00 EUR und Kosten für den "Lebensunterhalt" in Höhe von 300,00 bis 450,00 EUR.
Die AOK Sachsen-Anhalt teilte dem Antragsteller als auch der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26. Februar 2014 die aktuelle Forderungshöhe mit 92.706,87 EUR mit. Darüber hinaus listete sie die durchgeführten Pfändungsversuche, zuletzt am 13. Juli 2013, auf und übersandte eine Forderungsaufstellung für den Zeitraum von Dezember 1995 bis Januar 2014.
Mit Bescheid vom 13...