Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anwendung von § 7a Abs 7 S 1 SGB 4 auch auf Prüfbescheide nach § 28p Abs 1 S 5 SGB 4. sozialgerichtliches Verfahren. Streitwert
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des § 7a Abs 7 SGB IV findet auch im Rahmen von Betriebsprüfungen Anwendung, soweit Beitragsforderungen allein aus einer streitigen Statusfeststellung resultieren und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der aufschiebenden Wirkung nicht erkennbar ist (so bereits LSG Halle vom 1.9.2016 - L 3 R 307/16 B ER; vgl LSG Erfurt vom 3.6.2015 - L 12 R 539/15 B ER, juris; LSG Mainz vom 6.1.2014 - L 2 R 409/13 B ER = Breith 2014, 743, juris).
2. Grundlage für die Festsetzung des Streitwertes ist ein Viertel der Beitragsforderung, für die die aufschiebende Wirkung verfolgt wird (so bereits LSG Halle vom 17.5.2010 - L 3 R 408/09 B ER, juris, mwN).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Februar 2016 aufgehoben und festgestellt, dass die gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2015 erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten beider Verfahrenszüge.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.857,22 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in der Sache über eine Beitragsnachforderung in Höhe von 74.823,36 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 unter dem Gesichtspunkt einer Versicherungspflicht des Geschäftsführers der Antragstellerin in allen Zweigen der Sozialversicherung.
Bei der Antragstellerin (im Folgenden: Ast.) handelt es sich um einen Handwerksbetrieb in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die seit dem 22. Juni 1995 im Handelsregister eingetragen ist. Die Eintragung in die Handwerksrolle erfolgte am 11. Juli 1995. Zunächst waren G.M. und der noch bestellte im Februar 1965 geborene Handwerksmeister V.M. Geschäftsführer der GmbH. Die Gesellschaftsanteile hielten V.M. und G.M. jeweils zur Hälfte. Zu dem Geschäftsführervertrag von V.M. vom 6. Januar 1995 wird auf Blatt I 39 bis 44 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Dem Geschäftsführervertrag ist ein handschriftlicher Zusatz beigefügt, nach dem das Monatsgehalt des Geschäftsführers ab dem 1. Januar 1995 6.000 DM betrug. Dem Geschäftsführer wurde ein Betriebsfahrzeug zur privaten Nutzung überlassen und eine Direktversicherung über die Ast. zugesichert.
Nachfolgend übertrug zunächst G.M. seine Gesellschaftsanteile auf V.M. Mit notariellem "Kauf- und Abtretungsvertrag über einen Geschäftsanteil" vom 22. Dezember 2003 übertrug sodann V.M. seine beiden Gesellschaftsanteile zu jeweils 25.000 DM gegen einen Kaufpreis von 1.000 EUR auf seine im Oktober 1967 geborene Ehefrau, die seit 1995 als Lehrerin an einem Gymnasium in S. tätig war. Bezüglich der Verträge wird auf Blatt I 50 bis 54 und I 45 bis 49 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Ast. führt ihren Betrieb auf den Grundstücken und mit Inventar im Eigentum von V.M. aus.
Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ag.) führte vom 23. Juni 2014 bis zum 9. Februar 2015 bei der Ast. eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 durch. Sie erließ nach Anhörung der Ast. mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 den Nachforderungsbescheid vom 9. Februar 2015. Das durch die Betriebsprüfung eingeleitete sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellungsverfahren habe zu dem Ergebnis geführt, dass für den Geschäftsführer der Ast. seit dem 22. Dezember 2003 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einer Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung bestehe. Beiträge und Umlagen würden im Rahmen der Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2010 nachgefordert. Die Gesamtsumme der nachgeforderten Beiträge in Höhe von 74.823,36 EUR ergebe sich wie folgt: 2010 18.648,12 EUR, 2011 18.861,24 EUR, 2012 18.745,80 EUR und 2013 18.568,20 EUR.
Zur Begründung ihres am 26. Februar 2015 eingelegten Widerspruchs, mit dem sie gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides beantragte, verwies die Ast. auf eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens durch die Vollziehung der Beitragsnachforderung. Es liege kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Geschäftsführers vor, da dessen Ehefrau die alleinige Gesellschafterin der Ast. sei, also eine "Familien-GmbH" bestehe. Die Alleingesellschafterin der Ast. sei bis Anfang des Jahres 2015 überhaupt nicht und seither nur als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin in dem Unternehmen tätig. Sie habe als Lehrerin nicht das Fachwissen zur Leitung eines solchen Unternehmens. Allein V.M. nehme alle für das Unternehmen relevanten Leitungsaufgaben unabhängig von jeder Gesellschafterbeeinflussung ...