Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. fehlende Klärungsbedürftigkeit. Einkommensberücksichtigung. Verrechnung überzahlter Unterhaltsvorschussleistungen mit laufenden Unterhaltsvorschussleistungen. freiwillige Schuldentilgung
Leitsatz (amtlich)
Die Vereinbarung der Verrechnung einer Erstattung von überzahlten Unterhaltsvorschussleistungen mit laufenden Unterhaltsvorschussleistungen stellt eine Verfügung des Leistungsempfängers über Einkommen dar. Die rechtlichen Grundsätze hierzu sind höchstrichterlich entschieden und haben keine grundsätzliche Bedeutung (mehr).
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau (SG) und die Durchführung des Berufungsverfahrens zu ihrer Klage, mit der sie weitere Leistungen von 10 € für den Monat März 2019 geltend macht.
Die am ... 2007 geborene Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihrer Mutter und zwei minderjährigen Brüdern in einem gemeinsamen Haushalt. Als Bedarfsgemeinschaft bezogen sie vom Beklagten und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Für die Klägerin waren in der Vergangenheit durch den Landkreis Wittenberg zu hohe monatliche Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) gezahlt worden. Am 25. Oktober 2018 schloss die Mutter der Klägerin mit dem Landkreis Wittenberg eine freiwillige Abtretungsvereinbarung. Danach sollten monatlich 10 € des jeweils zu zahlenden Unterhaltsvorschusses der Klägerin einbehalten werden, um die Schuld zu tilgen. Nach Auskunft des Landkreises Wittenberg konnte diese Vereinbarung jederzeit widerrufen werden. Im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung bezog die Familie bereits SGB II-Leistungen.
Auf den Leistungsantrag der Familie vom 10. Januar 2019 bewilligte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Januar 2019 Leistungen für den Zeitraum von März 2019 bis Februar 2020 in monatlich unterschiedlicher Höhe. Auf die Klägerin, die Einkommen aus Kindergeld und Unterhaltsvorschuss erzielte, entfielen für März und April 2019 SGB II-Leistungen in Höhe von je 19,75 €. In Umsetzung der Abtretungsvereinbarung wurde für sie im streitigen Monat März 2019 ein Unterhaltsvorschuss von 202 € gezahlt, obwohl grundsätzlich ein Anspruch auf 212 € bestand.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17. April 2019 beantragten die Klägerin und ihre weiteren Familienmitglieder bei dem Beklagten die Überprüfung des Bescheids vom 22. Januar 2019. Daraufhin erließ der Beklagte mehrere Änderungsbescheide, mit denen er die Leistungen für einzelne Monate des Bewilligungszeitraums mehrfach abänderte. Für die Monate März und April 2019 sowie Januar und Februar 2020 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 15. Oktober 2019 ab.
Dagegen legten die Klägerin und ihre weiteren Familienangehörigen Widerspruch ein, soweit die Überprüfung abgelehnt worden war. Zur Begründung führten sie aus, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Überprüfungsantrag im Übrigen abgelehnt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe keine Gründe vorgetragen, die eine Änderung der ursprünglichen Bewilligung erforderlich machten. Sie habe im März 2019 Einkommen aus Kindergeld (194 €) und Unterhaltsvorschuss (212 €) erhalten. Die Bedarfsberechnung sei nicht zu beanstanden.
Dagegen hat die Klägerin am 21. November 2020 Klage beim SG erhoben und zur Begründung vorgetragen: Ihr seien im März 2019 nur 202 € an Unterhaltsvorschussleistungen zugeflossen. Nur diese bereiten Mittel dürften bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt werden. Ansonsten werde sie benachteiligt, da in der Vergangenheit die zuviel bezahlten Unterhaltsvorschussleistungen bedarfsmindernd berücksichtigt worden seien.
Mit Urteil vom 8. Dezember 2021 hat das SG die Klage abgewiesen: Der monatlich einbehaltene Betrag von 10 € sei nicht vom Einkommen abzusetzen gewesen. Freiwillige Zahlungen zur Tilgung von Schulden könnten nicht vom Einkommen abgesetzt werden. Bei den einbehaltenen Raten durch den Landkreis Wittenberg handele es sich um freiwillige Zahlungen zur Tilgung von Schulden. Daher sei der monatlich zufließende Unterhaltsvorschuss nicht um den Betrag von 10 € aus der Abtretungs- bzw. Ratenzahlungsvereinbarung zu vermindern gewesen. Die Abtretung sei eine Verfügung über das Einkommen. Die Vorausabtretung (über zukünftiges Einkommen) stehe dem wertungsmäßig gleich (vgl. Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. September 2009, L 2 AS 315/09 B ER). Eine freiwillige Schuldentilgung könne nicht zu Lasten des Leistungsträgers gehen...