Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Übernahme von Bestattungskosten. Zumutbarkeit der Kostentragung. Verweis auf Ausgleichsansprüche gegen Dritte
Leitsatz (amtlich)
Die erforderlichen Kosten einer Bestattung sind im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu übernehmen, wenn Ausgleichsansprüche des Bestattungspflichtigen gegen andere Verpflichtete nicht ersichtlich sind. Eine vorrangige Verpflichtung zur Selbsthilfe setzt voraus, dass ein möglicher Anspruch des Hilfebedürftigen hinreichend klar ersichtlich ist. Der Hilfebedürftige muss nicht nachweisen, dass keine bereiten Mittel - hier in Form von Ausgleichsansprüchen gegenüber Erben - vorhanden sind.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsgegner (im Folgenden: Ag.) wendet sich mit der Beschwerde gegen die Verpflichtung durch das Sozialgericht, der Antragstellerin (im Folgenden: Ast.) im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen gemäß § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) in Höhe von insgesamt 1.774,64 EUR für die Bestattung ihres Vaters zu zahlen.
Die am 1986 geborene Ast. ist Mutter von drei Kindern und bezog auch im Jahr 2016 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Nach dem Tod ihres (von ihrer Mutter geschiedenen) Vaters am 21. Juni 2016 beantragte die Ast. am 24. Juni 2016 bei dem Ag. die Übernahme der Kosten für die Bestat-tung ihres Vaters. Bei dem Behördengespräch am 27. Juni 2016 forderte das Ordnungsamt die Ast. nach deren Angaben auf, für die Bestattung ihres Vaters zu sorgen. Andere Hinterbliebene des Verstorbenen seien nicht behördenbekannt.
Die Stadt S. erhob von der Ast. mit Bescheid vom 21. Juli 2016 Gebühren für in Höhe von 514,50 EUR. Das die Bestattung durchführende Unternehmen stellte der Ast. unter dem 12. Juli 2016 1.260,14 EUR in Rechnung.
Am 28. Juli 2016 erklärte die Ast. die Ausschlagung der Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater für sich und ihre drei Kinder. Aus der Gerichtsakte des Amtsgerichts S. (Az. 7 V-VI 441/16) ist nach den Feststellungen des Sozialgerichts zu entnehmen, der Verstorbene habe zwei weitere Kinder (nicht mit der Mutter der Ast.) und sieben Geschwister gehabt. Nähere Angaben zu diesen Personen sind der Ast. auch nach ihrem Vorbringen im Beschwerdeverfahren nicht bekannt.
Der Ag. lehnte die Übernahme der Kosten der Bestattung des Vaters der Ast. ab. Diese sei nach der Ausschlagung der Erbschaft nicht mehr zur Bestattung ihres Vaters verpflichtet. Es gebe mögliche Erben, die vorrangig zur Bestattung verpflichtet gewesen seien. Damit sei ein Anspruch der Ast. nach § 74 SGB XII nicht mehr gegeben (Bescheid vom 14. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2016).
Die Ast. hat am 15. November 2016 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg mit dem Ziel der Verurteilung des Ag. zur beantragten Kostenübernahme erhoben und gleichzeitig den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der entsprechenden vorläufigen Verpflichtung des Ag. gestellt.
Mit Beschluss vom 11. Mai 2017 hat das Sozialgericht Magdeburg den Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Ast. Leistungen gemäß § 74 SGB XII in Höhe von 1.774,64 EUR zu zahlen. Die Ast. habe einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Rechtsgrundlage für den materiell-rechtlichen Anspruch der Ast. sei § 74 SGB XII. Der Anspruch auf Kostenübernahme setze die Unzumutbarkeit für die Ast. voraus, die Bestattungskosten selbst zu tragen. Bestattungskosten seien hier in Höhe von 1.774,64 EUR für die Kosten der Bestattung, die Friedhofs- und Einäscherungsgebühren angefallen und erforderlich gewesen, da sie angemessen und notwendig gewesen seien. Die Kosten lägen im unteren Bereich der Kosten, die normalerweise für eine einfache Bestattung aufgewendet würden. Einwände habe auch der Ag. insoweit nicht erhoben. Diese Kosten könne die Ast. zumutbar aus eigenen Einkünften und eigenem Vermögen nicht begleichen. Denn sie sei bereits zur Bestreitung ihres eigenen notwendigen Lebensunterhaltes und soziokulturellen Existenzminimums auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Auch vorrangig einzusetzende Nachlasswerte hätten ihr als bereite Mittel entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 12. Juni 2013 - B 14 AS 73/12 R -, juris) zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden. Als potentielle Erbin nach ihrem Vater habe sie von der Möglichkeit, die Erbschaft nach den §§ 1944 Abs. 1, 1945 Abs. 1 und 1946 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Eintritt des Erbfalls auszuschlagen, für sich und ihre Kinder rechtswirksam Gebrauch gemacht. Damit gelte die Erbs...