Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einseitige Erledigungserklärung bei Entschädigungsklage ohne Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses. keine Auslegung oder Umdeutung in eine Klagerücknahme. fehlende Beendigung des Verfahrens. keine Kostenentscheidung nach bisherigem Sach- und Streitstand. Kostenauferlegung durch Kostenverfügung des Kostenbeamten bzw der Kostenbeamtin. Entscheidung durch Berichterstatter bzw Berichterstatterin. analoge Anwendung von § 155 SGG auf erstinstanzliche Verfahren vor dem LSG
Leitsatz (amtlich)
1. Erklärt der Kläger eine bereits anhängige, aber mangels Zustellung noch nicht rechtshängige Entschädigungsklage (§ 202 S 2 SGG iVm §§ 198 ff GVG) einseitig für erledigt, wird das Verfahren dadurch nicht beendet. Es ist keine Kostenentscheidung gem § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 161 Abs 1 VwGO zu treffen.
2. Unabhängig davon, ob § 269 Abs 3 S 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist, kann eine vor Rechtshängigkeit der Klage ausgesprochene einseitige Erledigungserklärung jedenfalls dann nicht in eine Klagerücknahme umgedeutet werden, wenn objektiv keine Erledigung vorliegt.
Orientierungssatz
1. Auch wenn eine Entschädigungsklage ihrem beabsichtigten Zweck nach als "gedachte Untätigkeitsklage" eingelegt worden ist, erledigt sie sich nicht dadurch, dass das Ausgangsverfahren anschließend tatsächlich seinen Abschluss findet.
2. Während die Unterscheidung zwischen einer Klagerücknahme und einer Erledigungserklärung im gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren nach § 183 SGG keine praktische Bedeutung hat, sind in einem gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a SGG erheblich unterschiedliche Rechtsfolgen (insbesondere Kostenfolgen) an die beiden Erklärungen geknüpft. Eine einseitige Erledigungserklärung kann deshalb regelmäßig nicht als Klagerücknahme ausgelegt werden.
3. Für den Fall, dass sich ein Kläger nicht weiter erklärt und auch der Anforderung des Kostenvorschusses keine Folge leistet, sieht § 26 Abs 8 Kostenverfügung (juris: KostVfg) vor, dass der Kostenbeamte bzw die Kostenbeamtin die entstandenen Kosten zum Soll stellt.
4. Die systematisch dem Berufungsrecht zugeordnete Regelung des § 155 Abs 2 S 1 Nr 5 iVm Abs 4 SGG findet in erstinstanzlichen Verfahren vor dem LSG entsprechende Anwendung.
Tenor
Der Antrag des Klägers, dem Land Sachsen-Anhalt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt eine Kostengrundentscheidung, nachdem er seine Entschädigungsklage gemäß § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor Zustellung der Klageschrift für erledigt erklärt hat.
Der Kläger hat am 10. November 2022, zunächst nicht anwaltlich vertreten, beim Justizzentrum Magdeburg eine an das „Landessozialgericht Magdeburg“ adressierte und gegen das „Sozialgericht Magdeburg“ gerichtete Klage eingereicht. Mit der auf den 4. November 2022 datierten Klageschrift hat er eine Entschädigung i.H.v. 3.600 € wegen der Dauer eines nicht näher bezeichneten sozialgerichtlichen Klageverfahrens begehrt; für das Entschädigungsverfahren hat er Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Nachdem das Sozialgericht (SG) Magdeburg den Kläger darauf hingewiesen hatte, dass für derartige Klagen das Landessozialgericht (LSG) zuständig sei, hat am 9. Januar 2023 der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers angezeigt, dass er diesen nunmehr vertrete. Er hat erklärt: „Die Klage vom 04.11.2022 […] mache ich mir zu eigen und trage diese als die meinige vor.“ Weiter hat er die Verweisung des Rechtsstreits an das LSG beantragt. Dem ist das SG mit Beschluss vom 15. Februar 2023 gefolgt.
Mit Schriftsatz vom 8. März 2023 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers klargestellt, dass sich die „Untätigkeitsklage“ gegen das Land Sachsen-Anhalt richte. Das Ausgangsverfahren beim SG Magdeburg (S 30 AS 1111/19) sei inzwischen durch ein weitgehend stattgebendes Urteil vom 22. Februar 2023 beendet worden. Aus diesem Grund werde im vorliegenden Verfahren die Erledigung der Hauptsache angezeigt. Weiter werde beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Eine Zahlung des angeforderten Gerichtskostenvorschusses sei nicht mehr erforderlich.
Die Klageschrift ist nicht zugestellt worden. Das Land Sachsen-Anhalt hat Gelegenheit erhalten, sich zu der Erledigungserklärung und dem Kostenantrag zu äußern. Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass problematisch sei, ob bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit eine Kostenentscheidung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen ergehen könne. Weiter hat er darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 269 Abs. 3 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO), auch wenn man die Vorschrift für entsprechend anwendbar hielte, wohl nicht vorlägen. Das Land Sachsen-Anhalt hat sich nicht geäußert. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auf seinen Schriftsatz vom 8. März 2023 verwiesen und um gerichtliche Entscheidung gebeten.
Den Antrag des Klägers auf PKH hat ...