Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 auf Unionsbürger ist im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der EGV Nr. 383/2004 zweifelhaft.
2. Bei einem Unionsbürger, der sich bereits mehr als 18 Monate in Deutschland aufgehalten und während dieser Zeit Leistungen des SGB 2 bezogen hat, erscheint es nicht fernliegend, dass besondere Umstände vorliegen könnten, die es gebieten, ihn nicht von der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 erfasst anzusehen.
3. Wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen des SGB 2 sind ihm bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen des SGB 2 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu gewähren.
Tenor
Der Antragsgegner wird unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 27. Mai 2015 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig SGB II-Leistungen für Februar 2015 in Höhe von insgesamt 1.981,00 EUR und für die Zeit vom 1. bis zum 26. März 2015 in Höhe von insgesamt 1.761,87 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar bis zum 26. März 2015.
Der 1964 geborene Antragsteller zu 1 und seine Ehefrau, die 1973 geborene Antragstellerin zu 2, sind italienische Staatsangehörige albanischer Herkunft. Sie stellten nach Zuzug aus Z. am 26. Januar 2015 für sich und ihre Kinder, den 1995 geborenen Antragsteller zu 3, die 1998 geborene Antragstellerin zu 4 und den 2007 geborenen Antragsteller zu 5 einen SGB II-Leistungsantrag, der für die Zeit ab 1. Februar 2015 gelten sollte. Bis einschließlich Januar 2015 bezogen die Antragsteller vorläufige SGB II-Leistungen vom Jobcenter des Landkreises A. Dieser hatte mit Bescheid vom 13. Januar 2015 die Erteilung einer Zusicherung zu den KdU für einen Umzug nach R. abgelehnt. Sie gaben unter Vorlage des Mietvertrags an, für das am 26. Januar 2015 bezogene Haus mit einer Wohnfläche von ca. 120 m² in R. eine Grundmiete von 500 EUR sowie Abschläge auf die Betriebskosten von 100 EUR zu zahlen zu haben. Weiter seien an die Stadtwerke D. Vorauszahlungen für Wasser in Höhe von 60 EUR und für Erdgas in Höhe von 80 EUR zu leisten, sodass insgesamt 740 EUR für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) aufzubringen seien. Ihre einzigen Einnahmen seien derzeit das Kindergeld für die Antragsteller zu 4 und 5 in Höhe von je 184 EUR. Der Antragsteller zu 1 gab an, er sei erwerbsfähig und habe zuletzt von November bis Dezember 2013 bei der Firma R. GmbH in L. als Berufskraftfahrer sozialversicherungspflichtig gearbeitet, jedoch keinen Lohn erhalten. Diesbezüglich sei beim Arbeitsgericht Stendal ein Klageverfahren anhängig. Er sei bei der A. gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Die Antragsteller zu 2 und 3 machten keine Angaben zu Beschäftigungen. Nach vorgelegten Bescheinigungen besucht die Antragstellerin zu 4 die 10. Klasse der Sekundarschule in Z. und der Antragsteller zu 5 die 2. Klasse der Grundschule in R.
Aus einem wohl von der Arbeitsagentur im EDV-System gespeicherten und am 27. Februar 2015 ausgedruckten Lebenslauf des Antragstellers zu 1 ergibt sich eine in Albanien absolvierte Berufsausbildung als Mechaniker mit nachfolgender berufspraktischer Tätigkeit. Von 1994 bis zum 10. November 2013 sei er in M. als Berufskraftfahrer beschäftigt gewesen. Anschließend habe er bis 10. Januar 2014 für die Firma S. gearbeitet. Der nachfolgende Zeitraum vom 11. Januar 2014 bis zum 25. Januar 2015 wird als "Zeit ohne Nachweis" geführt, die sich daran anschließende Zeit vom 26. Januar bis zum 15. Februar 2015 als "Arbeitslosigkeit". Für den Zeitraum vom 16. Februar bis zum 15. August 2015 ist eine Weiterbildung mittels Integrationskurs sowie für den 24. und 25. Februar 2015 eine Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bei einem Arbeitgeber (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III)) eingetragen. Nach Bestätigung der I. Sprachschule D. OHG vom 16. Februar 2015 absolvieren die Antragsteller zu 1 und 2 einen voraussichtlich bis zum 6. November 2015 dauernden Integrationskurs Deutsch mit fünfmal wöchentlichem Unterricht von 9.00 bis 12.15 Uhr.
Nach seinen Vermerken hielt der Antragsgegner einen Alg I-Anspruch des Antragstellers zu 1 aufgrund der Vorbeschäftigungen für möglich. Dessen Voraussetzungen seien bislang noch nicht geprüft worden. Schreiben an den Antragsteller zu 1 mit der Aufforderung, einen Antrag auf Alg I bei der Agentur für Arbeit in D.-R. zu stellen, und an die Agentur für A...