Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung (U)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht erforderlich, dass ein besonderes oder ungewöhnliches Geschehen wie ein "Störfaktor" vorliegt (aA Thüringer LSG, U v 4.8.2022 - L 1 U 398/21, juris RN 21).

2. Soweit der Körper eines Jugendlichen (im Wachstumsalter) manchmal andere Strukturen aufweist als der eines Erwachsenen, führt das nicht zu einer Verminderung des Unfallversicherungsschutzes.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Ereignis und die daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden als Arbeitsunfall bzw. Folgen eines Arbeitsunfalles anzuerkennen sind.

Der Kläger ist im Jahre 2002 geboren. Bei einem Fußballspiel am 7. Juni 2016 im Rahmen des Sportunterrichts an seiner Schule bremste er abrupt mit dem linken Bein ab. Nach der Unfallanzeige der Schule gab es einen „Knacks“ und eine Verletzung (Knochenstücke) wurde sichtbar.

Es erfolgte eine sofortige Vorstellung bei dem D-Arzt Dr. K.. Dieser diagnostizierte einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae (rauher Knochenfortsatz - Apophyse - am proximalen Ende der vorderen Schienbeinkante). Es zeigte sich ein deutliches Hämatom. Bei dem Arzt bestanden Zweifel am Vorliegen eines versicherten Ereignisses. Eine Operation am 9. Juni 2016 bestätigte einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae links.

In einem Fragebogen zu dem Vorfall führte der Kläger aus, es sei nicht zu einem Sturz gekommen. Neben dem Schulsport betreibe er Schwimmen. Am 25. Juni 2016 erklärte die Mutter des Klägers, er habe beim Fußballspiel einen scharfen Schuss abgegeben. Danach habe er starke Schmerzen im Bein gehabt.

Nach einem Gesprächsvermerk vom 22. Juli 2016 teilte der beratende Radiologe Dr. H. der Beklagten mit, es sei unklar, warum nach den Röntgenaufnahmen nun ein CT gefertigt worden sei. Dies bilde die interessanten Strukturen (Knorpel, Bänder, Weichteile) nicht ab. Nach den Röntgenaufnahmen weise das Fragment bereits Sklerosierungszonen auf. Dies spreche für das Vorliegen einer vorbestehenden Schädigung. Am Tag des Ereignisses habe offensichtlich das letzte Stück nachgegeben. Ob Ursache hier ein Trauma oder der vorbestehende Schaden sei, müsse ein Unfallchirurg bewerten.

In einer Stellungnahme vom 17. August 2016 führte der beratende Unfallchirurg Dr. L. aus, ein äußeres Ereignis sei nicht feststellbar. Zur Diskussion stehe nur eine Eigenbewegung, bei der nichts Bestimmungswidriges, Unphysiologisches oder Ähnliches dazwischengekommen sei. Es fehle jeglicher sogenannte Störfaktor. Weitere Überlegungen seien daher nicht erforderlich. Selbst wenn man die Abläufe unter den Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung subsumieren wolle, wäre die versicherte Tätigkeit nicht wesentliche Teilursache. Allein wesentlich seien Schadensanlagen.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung aus, im Fragment am knöchernen Ausriss seien bereits vorhandene Sklerosierungszonen festgestellt worden. Liege eine Schadensanlage vor, sei der Unfallbegriff nicht erfüllt. Bei dem beschriebenen Ereignis handele es sich um eine Eigenbewegung, bei der kein bestimmungswidriger oder unphysiologischer Hergang abgelaufen sei. Bei Jugendlichen im pubertären Alter könne es häufig zu einer Verzögerung der Verknöcherung des knorpligen Wachstumskernes kommen. Es hätte bereits eine Sklerosierung von Gewebe stattgefunden. Diese Anlage sei hier allein wesentlich.

Den hiergegen Anfang November 2016 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2017 zurück und vertiefte ihre bisherige Begründung.

Hiergegen hat der Kläger am 22. März 2017 Klage erhoben und ausgeführt, aus dem CT vom 8. Juni 2016 ergebe sich kein Hinweis auf Sklerosierungszonen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. G.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 9. Januar 2018 als Unfallfolge einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae (Typ Watson-Jones II) und eine geringgradige schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung im linken Kniegelenk bei Zustand nach operativ versorgtem Abriss der Tuberositas tibiae mit posttraumatischer Wachstumsstörung und konsekutiver Entwicklung eines negativen tibialen Slopes festgestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, grundsätzlich könne es durch einen plötzlichen und verstärkten Zug auf das Ligamentum patellae z.B. infolge einer plötzlichen Kontraktion des Musculus quadriceps kommen. Während im Erwachsenenalter in der Regel die Bandstruktur reiße, sei im Entwicklungsalter wie hier bei einem Jugendlichen die lockere Verbindung von Epi- und Diaphyse bei einer kräftig entwickelten Muskulatur die schwächste Stelle. Diese lockere...

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