Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Anerkennung einer psychischen Erkrankung als mittelbare Unfallfolge

 

Orientierungssatz

1. Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalls muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder vermittelt durch den Gesundheitserstschaden oder direkt ein Ursachenzusammenhang bestehen. Soweit die Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge in Rede steht, ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme ICD-10 oder DSM IV notwendig, vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R.

2. Hierzu zählen die posttraumatische Belastungsstörung nach ICD-10 F 43.1 und die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung gemäß ICD-10 F 62.0.

3. Besteht zwischen dem angeschuldigten Unfallereignis und der Erstdiagnose einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung eine Latenz von mehr als 20 Jahren, so lässt sich ein Zusammenhang zwischen der psychischen Symptomatik und dem Unfallereignis unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht herstellen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass Regelwidrigkeiten seiner Psyche Folge des Arbeitsunfalls vom 30. Juni 1971 sind und die Zahlung einer Verletztenrente.

Der 1948 geborene Kläger erlitt am 30. Juni 1971 als Fahrer eines LKW einen Verkehrsunfall. Nach der am 6. Juli 1971 beim Bezirksvorstand des FDGB eingegangenen Unfallanzeige hatte er den Auftrag, Formereisand zu transportieren. Auf der Landstraße sei ihm ein Bus mit Anhänger entgegengekommen. Dieser habe bremsen müssen, so dass der Anhänger zur Fahrbahnmitte ausgeschert sei. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, habe er den Kipper nach rechts gezogen, so dass er gegen einen Baum gefahren und aus dem Wagen geschleudert worden sei. Hierbei habe er Prellungen an Hüfte und Hinterkopf erlitten, die im Krankenhaus Altstadt Magdeburg behandelt worden seien. Nach späteren eigenen Angaben wurde er noch am selben Tag entlassen und am nächsten Tag durch den Werksarzt eine 14-tägige Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Therapien seien nicht erfolgt.

Mit einem am 19. März 2004 eingegangenen Schreiben wandte sich der Kläger an die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF), die den Vorgang später zuständigkeitshalber an die Beklagte abgab. Der Kläger berichtete in seinem Schreiben über den Unfall sowie in der Folge auftretende Schlafstörungen mit Träumen vom Unfallgeschehen und Angstgefühlen. Da das Unternehmen zunächst keinen neuen LKW für ihn gehabt habe, sei er vorerst zu Hilfsarbeiten eingeteilt worden. Nach einem Dreivierteljahr sei er als Zweitfahrer für einen Schwerlasttransport eingesetzt worden. Wenige Minuten nach erstmaliger Übernahme des Fahrzeugs sei es zu einem stetig zunehmenden Gefühl der Unsicherheit und Angst gekommen, sodass er die Fahrt habe unterbrechen müssen. Einige Zeit später sei ihm ein LKW im Fernverkehr anvertraut worden. Anfänglich habe es keine Probleme gegeben, jedoch sei es nach einigen Monaten wieder zu Gefühlen der Unsicherheit und Angst gekommen. Er habe dann einen Parkplatz aufgesucht und nach einigen Minuten seine Fahrt fortsetzen können. Da sich diese Episoden verstärkt hätten, habe er 1978 beschlossen, nicht mehr im Fernverkehr, sondern erneut "Kipper" im Magdeburger Umland zu fahren. Anfänglich sei es ihm besser gegangen, er habe aber auch hier Tage gehabt, an denen er kaum zu fahren in der Lage gewesen sei. Nach der Abwicklung des Unternehmens 1989 sei er einige Monate arbeitslos gewesen und habe dann eine Anstellung im Fernverkehr gefunden. Nach einigen Wochen habe er eine zunehmende Nervosität und schnelle Abnahme seiner Konzentration bemerkt. Auch innere Unruhe und Schlafstörungen seien wiedergekehrt. Zuletzt - nach späteren Angaben im Mai 1998 - habe er sein Fahrzeug auf der A 2 anhalten und abstellen müssen. Nach 14-tägiger Arbeitsunfähigkeit sei es auf der PKW-Fahrt in den Urlaub zu einem ähnlichen Zusammenbruch gekommen. Nunmehr bestehe Arbeitsunfähigkeit seit Mai 1998. Bereits seit 1990 habe er sich mehrfach im Krankenhaus zu therapeutischen Maßnahmen aufgehalten und in der Zwischenzeit vier Suizidversuche unternommen. Dem Schreiben beigefügt war u.a. ein Arztbrief des Psychologen Dr. P. vom 30. Juli 1999, wonach sich aufgrund testpsychologischer Untersuchungen Hinweise auf das Vorliegen einer zerebralen Insuffizienz ergeben hätten, sowie ein Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 3. September 2001 aufgrund eines Suizidversuchs am 5. August 2001.

Zur Aufklärung des Sachverhalts versuchte die BGF Unterlagen über den Unfall des Klägers 1971 und der daraufhin durchgeführten Behandlungen beizuziehen. Diese Bemühungen blieben bis auf die genannte Unfallanzeige erfolglos. Ferner befragte die BGF behandelnde Ärzte: Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. habi...

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