Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls

 

Orientierungssatz

1. Ist ein unfallbedingter Primärschaden folgenlos ausgeheilt, so bedingt er keine MdE, mit der Folge, dass die Gewährung einer Entschädigung von diesem Zeitpunkt an ausgeschlossen ist.

2. Posttraumatische Belastungsstörungen gehören zur Gruppe der Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Sie entstehen ausschließlich als direkte Folge der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas.

3. Eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung ist als eine wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsstörung nach einer Belastung katastrophalen Ausmaßes definiert.

4. Gegen eine Erkrankung des Versicherten an einer posttraumatischen Belastungsstörung über einen Zeitraum von einem halben Jahr nach dem Unfallereignis spricht eine Latenz von 26 Jahren zwischen dem Unfall und der Erstdiagnose einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. In einem solchen Fall ist eine Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers über die Dauer des bewilligten Verletztengeldes hinaus ausgeschlossen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob dem Kläger wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.

Der 1948 geborene Kläger erlitt am 30. Juni 1971 als Fahrer eines LKW‚s einen Verkehrsunfall. Nach der hierzu erstellten Unfallanzeige hatte er den Auftrag, Formereisand zu transportieren. Auf der Landstraße sei ihm ein Bus mit Anhänger entgegengekommen. Dieser habe bremsen müssen, so dass der Anhänger zur Fahrbahnmitte ausgeschert sei. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, habe er seinen "Kipper" nach rechts gezogen, wodurch er gegen einen Baum gefahren und aus dem Wagen geschleudert worden sei. Hierbei habe er Prellungen an Hüfte und Hinterkopf erlitten, die im Krankenhaus Altstadt M. behandelt worden seien. Nach seinen späteren Angaben sei der Kläger noch am selben Tag entlassen und am nächsten Tag durch den Werksarzt eine 14tägige Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden. Therapien seien nicht erfolgt.

Mit einem am 19. März 2004 eingegangenen Schreiben wandte sich der Kläger an die - damalige - Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF), die den Vorgang zuständigkeitshalber an die Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend: die Beklagte) abgab. Der Kläger berichtete in seinem Schreiben über den Unfall sowie in der Folge auftretende Schlafstörungen mit Träumen vom Unfallgeschehen und Angstgefühlen. Da das Unternehmen für ihn zunächst keinen neuen LKW gehabt habe, sei er vorerst zu Hilfsarbeiten eingeteilt worden. Nach einem Dreivierteljahr habe man ihn als Zweitfahrer für einen Schwerlasttransport eingesetzt. Wenige Minuten nach erstmaliger Übernahme des Fahrzeugs sei es zu einem stetig zunehmenden Gefühl der Unsicherheit und Angst gekommen, so dass er die Fahrt habe unterbrechen müssen. Einige Zeit später sei ihm ein LKW im Fernverkehr anvertraut worden. Anfänglich habe es keine Probleme gegeben, jedoch sei es nach einigen Monaten wieder zu Gefühlen der Unsicherheit und Angst gekommen. Er habe dann einen Parkplatz aufgesucht und nach einigen Minuten seine Fahrt fortsetzen können. Da sich diese Episoden verstärkt hätten, habe er 1978 beschlossen, nicht mehr im Fernverkehr, sondern im M.er Umland erneut Kipper zu fahren. Anfänglich sei es ihm besser gegangen; er habe aber auch hier Tage gehabt, an denen er kaum zu fahren in der Lage gewesen sei. Nach der Abwicklung des Unternehmens 1989 sei er einige

Monate arbeitslos gewesen und habe dann eine Anstellung im Fernverkehr gefunden. Nach einigen Wochen habe er eine zunehmende Nervosität und schnelle Abnahme seiner Konzentration bemerkt. Auch innere Unruhe und Schlafstörungen seien wiedergekehrt. Zuletzt - nach späteren Angaben im Mai 1998 - habe er sein Fahrzeug auf der A 2 anhalten und abstellen müssen. Nach 14tägiger Arbeitsunfähigkeit sei es auf der PKW-Fahrt in den Urlaub zu einem ähnlichen Zusammenbruch gekommen. Nunmehr bestehe seit Mai 1998 Arbeitsunfähigkeit. Bereits seit 1990 habe er sich mehrfach im Krankenhaus zu therapeutischen Maßnahmen aufgehalten und in der Zwischenzeit vier Suizidversuche unternommen. Dem Schreiben waren u.a. ein Arztbrief des Psychologen Dr. P. vom 30. Juli 1999, wonach sich aufgrund testpsychologischer Untersuchungen Hinweise auf eine zerebrale Insuffizienz ergeben hätten, sowie der aufgrund eines Suizidversuchs am 5. August 2001 erlassene Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts M. vom 6. August 2001 beigefügt.

Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. gab unter dem 12. Mai 2004 an, den Kläger erst seit dem 24. März 1999 zu behandeln. Von einem Unfall habe er ihr nicht berichtet. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie...

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