Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des endgültigen Sozialleistungsträgers bei vorläufiger Erbringung von Sozialleistungen
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften (hier: § 43 Abs 1 Satz 1 SGB I) vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der leistungsverpflichtete Leistungsträger (hier aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts vor der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich) erstattungspflichtig.
Orientierungssatz
1. Derjenige Sozialleistungsträger, welcher aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Leistungen erbringt, hat nach § 102 SGB 10 einen Erstattungsanspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger.
2. Wurden vom zuerst angegangenen Leistungsträger Leistungen der Eingliederungshilfe für eine stationäre Unterbringung vorläufig gewährt, so ist gemäß § 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB 12 der Träger der Sozialhilfe sachlich zuständiger Leistungsträger.
3. Zum Schutz der Anstaltsorte sehen § 97 Abs. 2 S. 1 BSHG bzw. § 98 Abs. 2 S. 1 SGB 12 bei der Gewährung stationärer Leistungen eine besondere örtliche Zuständigkeit vor. Danach ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung oder in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat.
4. Bei der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts muss es sich um einen Aufenthalt von voraussichtlich einer gewissen Dauer handeln. Ist der Betroffene nach jedem gescheiterten Heimaufenthalt zu seinem Ehegatten zurückgekehrt, hat er sich dort nicht nur vorübergehend bei diesem aufgehalten und hat er über eine eigene Wohnung nicht verfügt, so ist für die Bestimmung des örtlich zuständigen Leistungsträgers der Wohnsitz des Ehegatten maßgeblich. Der melderechtliche Status ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung.
5. Der Umfang des Erstattungsanspruchs ergibt sich aus § 110 SGB 12. Danach sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Leistungen den Regelungen des SGB 12 entsprechen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen haben der Kläger zu einem Fünftel und die Beklagte zu vier Fünfteln zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihm die für die Leistungsberechtigte S. B. (im Weiteren: Lb.) in der Zeit vom 22. September 2003 bis zum 31. Oktober 2005 erbrachten Aufwendungen in Höhe von 43.656,25 EUR zu erstatten.
Die am ... 1968 geborene Lb. ist verheiratet und Mutter zweier am ... 1992 und ... 1993 geborener Kinder. Seit ihrem 16. Lebensjahr ist sie häufig, auch längerfristig, psychiatrisch untergebracht gewesen. Von April 1999 bis Mai 2001 befand sie sich entweder in stationärer Krankenhausbehandlung oder in einem Heim. Danach hielt sie sich bis zur nächsten Heimunterbringung vom 27. Mai bis zum 30. November 2002 im Lebenszentrum R. in B. - unterbrochen durch stationäre Behandlungen - auf. Der Landkreis (LK) O., dessen Rechtsnachfolger der Kläger ist, bewilligte für die Lb. insoweit Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Form von Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten im Lebenszentrum R. (Bescheide vom 18. Juni 2002 und vom 26. November 2002).
Mit Beschluss vom 6. März 2003 hob das Amtsgericht Haldensleben die Betreuung durch den damaligen Betreuer der Lb. - J. K. aus H. - auf. Zwar lägen die Voraussetzungen für die Verlängerung der Betreuung aufgrund der bestehenden schizoaffektiven Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis weiterhin vor. Die Lb. habe den bestellten Betreuer jedoch abgelehnt und sich nach dessen Angaben ab dem 16. November 2002 in H. bei ihrem Ehemann aufgehalten, so dass eine praktische Zusammenarbeit mit dem in Hillersleben ansässigen Betreuer nicht mehr möglich und die Betreuung deshalb aufzuheben gewesen sei.
Am 27. März 2003 wurde die Lb. stationär im niedersächsischen Landeskrankenhaus W. (LKH) aufgenommen. Von dort wurde unter dem 9. Juli 2003 an den LK O. der Antrag auf Heimkostenübernahme "gemäß §§ 39/40 BSHG" gerichtet, der beim LK O. am 14. Juli 2003 einging. In der am 16. Juli 2003 eingereichten ärztlichen Stellungnahme vom 10. Juli 2003 ist ausgeführt, dass bei der Lb. eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bestehe. Die Lb. könne aufgrund der Chronifizierung ihrer Erkrankung mit Affektverflachung und wechselndem Antrieb ihre Angelegenheiten in Alltagsdingen nicht mehr selbständig regeln. Daneben bestehe eine ausgeprägte, in ihrer Intensität stark schwankende paranoide Symptomatik. Bei der Schwere der Erkrankung reichten ambulante Hilfen nicht mehr aus. Es sei eine Heimunterbringung "gemäß §§ 38/40 BSHG" erforderlich. Die geplante Unterbringung im Wohnheim G. 20 in H., getragen von der Frauenunterkunft der I. M. e.V. (im Weiteren: Frauenunterkunft), werde befürwortet. Die Entlassung in das angegebene Wohnheim könne voraussichtlich in absehbarer Ze...