Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Erstattungsanspruch des vorläufig leistenden Sozialhilfeträgers gegen den zur Leistung verpflichteten Sozialhilfeträger nach § 102 Abs 1 SGB 10. Abgrenzung zu § 14 Abs 4 S 1 SGB 9. örtliche Zuständigkeit. stationäre Unterbringung
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften (hier: § 43 Abs 1 S 1 SGB I) vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der leistungsverpflichtete Leistungsträger (hier aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts vor der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich) erstattungspflichtig.
Orientierungssatz
§ 14 Abs 4 S 1 SGB 9 gilt nur für den zweitangegangenen Rehabilitationsträger und trägt dessen Sondersituation Rechnung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihm durch die Weiterleitung des Antrags die Leistungspflicht aufgezwungen ist. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den erstangegangenen Rehabilitationsträger ist nicht möglich.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen haben der Kläger zu einem Fünftel und die Beklagte zu vier Fünfteln zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihm die für die Leistungsberechtigte S. B. (im Weiteren: Lb.) in der Zeit vom 22. September 2003 bis zum 31. Oktober 2005 erbrachten Aufwendungen in Höhe von 43.656,25 EUR zu erstatten.
Die am ... 1968 geborene Lb. ist verheiratet und Mutter zweier am ... 1992 und ... 1993 geborener Kinder. Seit ihrem 16. Lebensjahr ist sie häufig, auch längerfristig, psychiatrisch untergebracht gewesen. Von April 1999 bis Mai 2001 befand sie sich entweder in stationärer Krankenhausbehandlung oder in einem Heim. Danach hielt sie sich bis zur nächsten Heimunterbringung vom 27. Mai bis zum 30. November 2002 im Lebenszentrum R. in B. - unterbrochen durch stationäre Behandlungen - auf. Der Landkreis (LK) O., dessen Rechtsnachfolger der Kläger ist, bewilligte für die Lb. insoweit Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Form von Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten im Lebenszentrum R. (Bescheide vom 18. Juni 2002 und vom 26. November 2002).
Mit Beschluss vom 6. März 2003 hob das Amtsgericht Haldensleben die Betreuung durch den damaligen Betreuer der Lb. - J. K. aus H. - auf. Zwar lägen die Voraussetzungen für die Verlängerung der Betreuung aufgrund der bestehenden schizoaffektiven Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis weiterhin vor. Die Lb. habe den bestellten Betreuer jedoch abgelehnt und sich nach dessen Angaben ab dem 16. November 2002 in H. bei ihrem Ehemann aufgehalten, so dass eine praktische Zusammenarbeit mit dem in Hillersleben ansässigen Betreuer nicht mehr möglich und die Betreuung deshalb aufzuheben gewesen sei.
Am 27. März 2003 wurde die Lb. stationär im niedersächsischen Landeskrankenhaus W. (LKH) aufgenommen. Von dort wurde unter dem 9. Juli 2003 an den LK O. der Antrag auf Heimkostenübernahme "gemäß §§ 39/40 BSHG" gerichtet, der beim LK O. am 14. Juli 2003 einging. In der am 16. Juli 2003 eingereichten ärztlichen Stellungnahme vom 10. Juli 2003 ist ausgeführt, dass bei der Lb. eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bestehe. Die Lb. könne aufgrund der Chronifizierung ihrer Erkrankung mit Affektverflachung und wechselndem Antrieb ihre Angelegenheiten in Alltagsdingen nicht mehr selbständig regeln. Daneben bestehe eine ausgeprägte, in ihrer Intensität stark schwankende paranoide Symptomatik. Bei der Schwere der Erkrankung reichten ambulante Hilfen nicht mehr aus. Es sei eine Heimunterbringung "gemäß §§ 38/40 BSHG" erforderlich. Die geplante Unterbringung im Wohnheim G. 20 in H., getragen von der Frauenunterkunft der I. M. e.V. (im Weiteren: Frauenunterkunft), werde befürwortet. Die Entlassung in das angegebene Wohnheim könne voraussichtlich in absehbarer Zeit erfolgen.
Der danach bestellte Betreuer der Lb., Rechtsanwalt M. W., teilte dem LK O. mit, die Lb. sei noch im Wohnheim in B. und nicht in H. gemeldet. Vom in H. lebenden Ehemann lebe sie getrennt. Die Zuständigkeit für den Antrag auf Heimkostenübernahme beurteile sich damit nach seiner Auffassung nach dem ursprünglichen Wohnort der Lb. in H ... Der LK O. teilte daraufhin dem LKH, dem Betreuer und der Frauenunterkunft mit, dass die Lb. bei ihm am 30. November 2002 aus dem Leistungsbezug gefallen sei, da sie die damalige Einrichtung in R. habe verlassen wollen. Wo sie verblieben sei, sei ihm - dem LK O. - nicht bekannt. Es möge mit Hilfe der Lb. festgestellt werden, wo sie vor der Aufnahme in das LKH gewohnt habe. Da unklar sei, ob der LK O. oder die Beklagte für die Lb. zuständig sei, käme eine Vorleistung gemäß § 44 BSHG in Betracht.
Der Betreuer der Lb. legte unter dem 25. Juli 2003 das Antragsformular auf Gewährung von Sozialhilfe vor und gab in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu den Aufenth...