Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung
Orientierungssatz
1. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB 6 nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
2. Erst wenn nach einem Unfall mit schweren Folgen nach Rekonvaleszenz ein Dauerzustand eingetreten ist, kann von einem für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Antragstellers erforderlichen gleichgebliebenen Leistungsbild des Versicherten ausgegangen werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Juli 2019 aufgehoben und die Klage auch im Übrigen abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) für die Zeit vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2021.
Der 1984 geborene Kläger, der aus einer Familie im Dachdeckerhandwerk stammt, legte im Juli 2004 die Gesellenprüfung in diesem Handwerk ab. Nach der Ausbildung wechselten sich Beschäftigungsverhältnisse von kurzer Dauer, u.a. als Tierpfleger beim Gut K. und Dachdecker, mit gemeldeten Zeiten der Arbeitslosigkeit ab. Ab dem 1. April 2008 nahm der Kläger eine Berufsausbildung zum Berufsjäger bei einem Forstgut auf, die während der Probezeit am 9. Mai 2008 endete. Vom 1. bis zum 18. Juli 2008 war er als Monteur von Lichtkuppeln versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 22. Juli 2008 wurde von Seiten eines Dachdeckerbetriebes aus dem Nachbardorf die Aufnahme einer Beschäftigung durch den Kläger als Dachdecker gemeldet. Der Kläger erlitt am Tag der Aufnahme der Beschäftigung, nach anderen Angaben am zweiten Tag der Beschäftigung, bei einem von der zuständigen Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) anerkannten Arbeitsunfall ein offenes Schädelhirntrauma mit einer Kalottenimpressionsfraktur und Frakturen des Jochbeins, der Orbitalhinterwand und des rechten Felsenbeins.
Auf Grund der Unfallfolgen bezieht der Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen. Er stand von Oktober bis Dezember 2011 in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis und seit dem Jahr 2012 in versicherungspflichtigen Saisonbeschäftigungsverhältnissen als landwirtschaftlicher Mitarbeiter bei einem Saatgutbetrieb (von April bis November 2012, April bis November 2013, Mai bis Dezember 2014, April bis November 2015, Juni bis November 2016 und Februar bis Juli 2017, nach Angaben des Klägers „nie mehr als 3-6 h täglich“). In den übrigen Zeiträumen bezog er Arbeitslosengeld. Nach dem Arbeitsvertrag vom 7. Juli 2017 wurde der Kläger ab dem 17. Juli 2017 als Aushilfskraft bei einem Saatgutbetrieb „auf Abruf“ mit einem Bruttostundenlohn von 14,52 € beschäftigt. Aus dem Versicherungsverlauf vom 1. Dezember 2020 ergibt sich daneben seit dem 1. März 2018 ein weiteres geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. Hierzu hat der Kläger die Beschäftigung bei der Lebenshilfe angegeben, die darin bestehe, in Nachtschicht zwei bis drei Nächte im Monat von 21.45 Uhr abends bis 7.45 Uhr morgens in einem Heim für Menschen mit Behinderungen aufzupassen. Die Arbeit werde im Wesentlichen im Sitzen ohne besondere Aufgaben verrichtet und ende morgens regelmäßig mit dem Kaffee Kochen für das Frühstück der Heimbewohner.
Auf den Antrag des Klägers vom 15. November 2013 stellte das Landesverwaltungsamt bei dem Kläger ab Antragstellung einen Grad der Behinderung von 20 fest. Der Kläger begründete seinen Antrag dort wie folgt: „Den Antrag stelle ich deshalb [,] weil mein damaliger Arbeitsunfall sehr Dolle war, ich im Koma lag und sehr viel Glück hatte [,] dies zu überleben. Außerdem wurde ich von der Agentur für Arbeit hingewiesen [,] einen Antrag für Schwerbehinderung zu stellen.“
Auf den ersten Antrag des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung vom 15. Februar 2011 holte die Beklagte das Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. T. vom 9. Juni 2011 ein, der den Kläger für in leichten bis mittelschweren körperlichen Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich einsetzbar hielt. Die vor dem Sozialgericht Magdeburg gegen die Ablehnung des Rentenantrages mit Bescheid vom 31. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2011 geführte Klage (S 42 R 1413/11) blieb nach Ausschöpfung des Instanzenzuges erfolglos (Urteil des erkennenden Senats des Landessozialgerichts [LSG] Sachsen-Anhalt vom 29. Dezember 2016 - L 3 R 173/14 -, Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 22. März 2017 - B 13 R 173/14 -).
Im Rahmen des ersten Rechtsstreits beauftragte das Sozialgericht den Direktor der Klinik für Neurologie an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H., Privat-Dozent Dr. med. habil. W. (im Folgenden: Dr...