Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts trotz Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Erstattungsforderung als Insolvenzforderung. fehlende Befugnis zum Erlass eines Erstattungsbescheides. Vollstreckungsverbot

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Rechtmäßigkeit einer auf § 48 Abs 1 SGB 10 iVm §§ 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2, 330 Abs 3 S 1 SGB 3 gestützten Aufhebung einer Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen Wegzugs des Leistungsempfängers aus dem Zuständigkeitsbereich des Grundsicherungsträgers steht nicht entgegen, dass über das Vermögen des Leistungsempfängers ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Das gilt selbst dann, wenn die Erstattungsforderung eine Insolvenzforderung iS von § 38 InsO ist. Die Vorschriften der §§ 87, 174 Abs 1 S 1 InsO hindern den Leistungsträger nicht, einen Verwaltungsakt aufzuheben, mit dem einem Leistungsempfänger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 bewilligt worden sind.

2. Der Leistungsträger hat jedoch keine Befugnis, zur Durchsetzung einer Insolvenzforderung einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem die Erstattung von Leistungen der Grundsicherung nach § 50 Abs 1 S 1 und Abs 3 SGB 10 iVm § 40 Abs 1 S 1 SGB 2 geltend gemacht wird. Die Vorschriften der §§ 87, 174 Abs 1 S 1 InsO enthalten nicht nur ein Vollstreckungsverbot, sondern hindern einen Insolvenzgläubiger schon daran, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung zu verschaffen.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. April 2013 wird abgeändert. Der Tenor wird wie folgt neu gefasst: Der Bescheid des Beklagten vom 5. November 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2010 wird aufgehoben, soweit für März 2009 bewilligte Leistungen in Höhe von 195,72 EUR zur Erstattung gestellt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu 1/2 zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Leistungsbewilligung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für März 2009 iHv 195,72 EUR.

Der am ... 1980 geborene Kläger bezog im streitigen Zeitraum vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung. Er bewohnte bis zum 1. Februar 2009 eine Unterkunft in der L.- Straße in D.-R. Mit Bescheid vom 26. September 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. Dezember 2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv insgesamt 462,06 EUR für Oktober bzw monatlich 546,72 EUR ab November, einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung iHv monatlich 195,72 EUR. Die Leistungen für die Unterkunft wurden iHv monatlich 147,35 EUR vom Beklagten aufgrund einer Abtretungserklärung des Klägers jeweils direkt an den Vermieter, die D. W. Gesellschaft, überwiesen. Die Heizkosten sowie die Abschläge für Wasser iHv monatlich 48,37 EUR wurden dem Kläger ausgezahlt. Nach Kündigung seines Mietverhältnisses zum 28. Februar 2009 zog der Kläger gleichwohl zum 1. Februar 2009 nach M. Den Umzug teilte er dem Beklagten am 5. Februar 2009 schriftlich mit (Veränderungsmitteilung vom 3. Februar 2009). Zur Beendigung des Mietvertrages machte er keine Angaben. Mit Bescheid vom 4. Februar 2009 bewilligte das Jobcenter L. M. dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem 1. März 2009. Der Beklagte zahlte an den Kläger die bewilligten Leistungen bis zum 31. März 2009 aus und überwies die Unterkunftskosten iHv 147,35 EUR an die DWG. Der Vermieter verrechnete diese Zahlung mit gegenüber dem Kläger geltend gemachten Forderungen aus dem Mietverhältnis (Schadensersatz iHv 72,37 EUR zzgl. Reinigungskosten iHv 61,64 EUR) und zahlte an diesen das verbleibende Guthaben iHv 2,74 EUR aus.

Gegenüber dem Jobcenter L. M. erklärte der Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2009, dass er für März 2009 Leistungen auch vom Beklagten erhalten habe. Die Auszahlung sei erfolgt, obwohl dieser gewusst habe, dass ihm ab März 2009 Leistungen vom Jobcenter L. M. gewährt werden. Die mit dem Jobcenter L.M. getroffenen Festlegungen zur Leistungsgewährung nach dem Umzug seien gerade deshalb getroffen worden, um eine Überzahlung zu verhindern. Aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen mit dem fehlerhaften Verwaltungshandeln des Beklagten habe er sich er sich aber "nicht wirklich" darüber gewundert, dass der Beklagte für diesen Monat noch Leistungen überwiesen habe. Er warte nunmehr bere...

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