Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsminderung. Wegefähigkeit. verschlossener Arbeitsmarkt. Katalogfall. Kompensation von Mobilitätsdefiziten
Leitsatz (amtlich)
Die nicht gegebene Fähigkeit, Wegstrecken von knapp mehr als 500 m in ca 20 Minuten zurückzulegen, kann nicht in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch eine Kfz- oder Fahrradnutzung kompensiert werden. Die Kompensation kann nur in Bezug auf einen konkreten Arbeitsplatz erfolgen (Abweichung von LSG Darmstadt vom 19.3.2010 - L 5 R 28/09).
Orientierungssatz
Der Arbeitsmarkt gilt auch dann als verschlossen, wenn einem Versicherten die so genannte Wegefähigkeit fehlt; zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können (vgl BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 21. Juli 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2007 in der Gestalt des auf die Sitzung des Widerspruchsausschusses vom 24. April 2007 erlassenen Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. März 2007 bis zum 28. Februar 2013 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).
Der am ... 1951 geborene Kläger absolvierte eine Schulausbildung von acht Klassen. Er durchlief vom 1. September 1965 bis zum 1. Juli 1968 erfolgreich eine Ausbildung zum Maurer und war bis Juli 2001 in diesem Beruf bzw. als Fliesenleger beschäftigt. Im Anschluss daran war er arbeitslos bzw. bezog Sozialleistungen. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt.
Auf den ersten Rentenantrag vom 26. Februar 2003 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zunächst vom 1. Januar 2003 bis zum 28. Februar 2005. Nach Rücknahme der Klage gegen die Ablehnung einer unbefristeten Rentenbewilligung in einem ersten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stendal (S 2 RJ 28/05) wurde der dort angefochtene Bewilligungsbescheid vom 25. September 2003 bestandskräftig. Auf seinen Weitergewährungsantrag bewilligte die LVA dem Kläger mit Bescheid vom 10. Februar 2005 die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer.
Der Kläger stellte am 31. August 2006 den dem vorliegenden Streitverfahren zugrunde liegenden Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert. Die LVA zog zunächst die Unterlagen aus dem vorangegangenen Rentenverfahren bei. Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 12. November 2002 war der Kläger damals noch in der Lage, leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, mit häufigen Pausen und ohne schweres Heben und Tragen durchzuführen. Nach dem Entlassungsbericht des S. Reha-Klinikums in Bad K. vom 13. Februar 2003 wurde der Kläger aus der dort vom 21. Januar bis zum 11. Februar 2003 durchgeführten stationären Rehabilitationskur mit einem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegend im Sitzen, ohne gebückte Zwangshaltungen, von sechs Stunden und mehr täglich entlassen. Aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie und für Neurologie/Psychiatrie Dr. P. vom 6. April 2004 geht hervor, der Kläger habe erstmals im Jahr 1990 ein Schwächegefühl im linken Fuß (Fußheberschwäche) bemerkt. Nachfolgend habe sich eine allmähliche Muskelatrophie des linken Unterschenkels (6,0 cm) und in geringerem Umfang auch des linken Oberschenkels (1,5 cm) herausgebildet. Er habe Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und der Brustwirbelsäule (BWS). Nach der durchgeführten Schulteroperation bestünden nur noch gelegentlich Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich ohne Funktionseinschränkungen. Der Kläger könne als Fliesenleger nur noch unter drei Stunden täglich und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in leichten Tätigkeiten jeweils zeitweise im Stehen, Gehen und Sitzen noch vollschichtig arbeiten. Zu vermeiden seien schwerere Hebe- und Trageleistungen, häufige Bückverrichtungen, hockende und kniende Bewegungsabläufe, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, häufiges Treppensteigen sowie Vibrationseinflüsse. Im Ergebnis der Begutachtung hätten mäßiggradige Funktionseinschränkungen der LWS sowie eine inkomplette Peronaeusparese links festgestellt werden können, die mit den röntgenologisch nachweisbaren patho-morphologischen Strukturveränderungen korrelierten. E...