Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. einseitiger Verlust der Brust. Heilungsbewährung. Sekundärleiden. Funktionsbeeinträchtigungen an Füßen und Armen. Schwerbehinderteneigenschaft. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung. teilweise Abhilfe im Widerspruchsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist für den einseitigen Verlust der Brust ohne Wiederaufbau ein GdB von 30 festzustellen. Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Füße und der Arme, die lediglich mit einem GdB von 20 bzw 10 zu bewerten sind, erhöhen nicht das Gesamtausmaß der Behinderung.
2. Auch wenn im Widerspruchsverfahren lediglich eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt wird und das weitere Widerspruchs- und Klageverfahren erfolglos bleibt, kommt eine teilweise Übernahme der Kosten im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung nach § 193 SGG in Betracht.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin ein Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung.
Auf Antrag der am ... 1955 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2003 für die Funktionsbeeinträchtigungen: "Verlust der rechten Brust, Entfernung von Lymphknoten im Stadium der Heilungsbewährung, Bewegungseinschränkung des rechten Armes mit Belastungsschwäche" ab 30. Juli 2002 einen GdB von 60 fest. Nach dem Befundschein der Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. P. und Dipl.-Med. L. vom 2. November 2002 sei bis Oktober 2002 eine Chemotherapie erfolgt. Die Klägerin habe bei herabgesetzter Belastbarkeit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen des rechten Armes angegeben.
Im Jahr 2008 veranlasste der Beklagte ein Überprüfungsverfahren (Nachuntersuchung von Amts wegen), indem er Befundscheine der behandelnden Ärzte der Klägerin einholte. Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dipl.-Med. G. berichtete am 27. März 2008 und ergänzend am 14. April 2009, die berufstätige Klägerin befinde sich in einem reduzierten Allgemeinzustand. Nach den radiologischen Untersuchungen (Bericht Dres. S. vom 29. Mai 2008) lägen aber keine Hinweise für ein Rezidiv vor. Die Praktische Ärztin Dipl.-Med. Z. berichtete am 16. März 2009 über sporadische Vorstellungen der Klägerin in der Sprechstunde. Nach der Brustamputation sei die Narbe reizlos, doch liege eine psychische Beeinträchtigung der attraktiven Klägerin (Minderwertigkeitsgefühl, Scham) vor. Eine Dauermedikation erfolge nicht. In Auswertung dieser Befunde schlug Dr. E. vom Ärztlichen Dienst des Beklagten nach Ablauf der Heilungsbewährung für den Verlust der rechten Brust einen GdB von 30 vor. Da eine Bewegungseinschränkung des rechten Arms nicht mehr beschrieben worden sei, könne dafür kein Behinderungsgrad mehr festgestellt werden. Mit Schreiben vom 5. Mai 2009 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Herabsetzung des Behinderungsgrades auf 30 für die Zukunft an.
In ihren Stellungnahmen vom 8. und 22. Juni 2009 teilte die Klägerin mit: Durch die Chemotherapie sei die Gebrauchsfähigkeit ihres Arms erheblich eingeschränkt, da immer in denselben Arm injiziert worden sei. Sie könne und dürfe nicht mehr schwer heben. Nach einer Fußoperation könne sie sich nur noch hinkend bewegen. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen habe sie auch den Arbeitsplatz gewechselt. Insgesamt rechtfertigten die Beeinträchtigungen einen GdB von zumindest 50.
Daraufhin holte der Beklagte weitere Befundscheine der behandelnden Ärzte ein. Dipl.-Med. Z. berichtete am 24. August 2009 über einen Zustand nach einem großen infizierten Clavus (Hühnerauge) der rechten Fußsohle und Resektion am 18. Oktober 2008 sowie über eine Fußformdeformität rechts (Knick-, Senk-, Spreizfüße, Hallux valgus, Krallenzehen). Längeres Stehen, Gehen und Laufen sei dadurch schmerzhaft. Außerdem habe die Klägerin Schmerzen in Cervikobrachialbereich bei deutlich verspannter Schulter- und Nackenmuskulatur angegeben. Eine Physiotherapie sei verordnet worden. Die Fachärztin für Orthopädie Dipl.-Med. A. teilte am 30. September 2009 Befunde der Lendenwirbelsäule (LWS) mit: Seitneigung beidseits 30 Grad nach der Neutral-Null-Methode, Rotation 40 Grad, Schober 10/16 cm, Motorik ohne Befund, Reflexe seitengleich. Außerdem berichtete sie über eine freie Beweglichkeit der beiden Hüft- und Kniegelenke. Im Längsfußgewölbe befinde sich eine zusätzliche Verdickung (Plantarfaszie im Sinne einer Morbus Ledderhose).
Nach nochmaliger Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes (Dr. E.), der für die Funktionsstörungen im rechten Arm und rechten Fuß auch weiterhin keinen GdB feststellen konnte, hob der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2009 den Bescheid vom 3. Februar 2003 auf und stellte ab 1. Dezember 2009 einen GdB ...