Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung der Folgen einer Brustkrebserkrankung nach Ablauf der Heilungsbewährung. Herabsetzung des Grades der Behinderung. Wesentliche Änderung. Funktionseinschränkungen. Sekundärleiden
Orientierungssatz
1. Ein im Schwerbehindertenrecht zum Grad der Behinderung ergangener Verwaltungsakt ist aufgrund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn die eingetretene Veränderung es erforderlich macht, den Gesamtgrad der Behinderung um wenigstens 10 anzuheben oder abzusenken.
2. Der Ablauf der Heilungsbewährung nach einer Krebserkrankung stellt eine tatsächliche Veränderung i. S. von § 48 Abs. 1 SGB 10 dar. Die Zeitdauer von fünf Jahren basiert auf Erkenntnissen über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Danach ist der GdB nur noch anhand der verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten.
3. Für den einseitigen Verlust der weiblichen Brust bei reizloser Operationsnarbe ist nach den VersMedV ein GdB von 30 festzustellen.
4. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind die üblichen seelischen Begleiterscheinungen bei einem Verlust der Brust bereits in dem GdB von 30 berücksichtigt. Nur bei außergewöhnlichen seelischen Begleiterkrankungen, die einer speziellen ärztlichen Behandlung bedürfen, kann dafür ein zusätzlicher Behinderungsgrad festgestellt werden.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 Sätze 1, 5, Abs. 3 S. 1; BVG § 30 Abs. 1, 16; VersMedV § 2; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung.
Auf Antrag der am ... 1953 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2003 für die Funktionsbeeinträchtigungen: "Verlust der rechten Brust, im Stadium der Heilungsbewährung" ab 20. Juni 2003 einen GdB von 80 fest. Nach dem Arztbrief des Städtischen Klinikums M. diagnostizierte Oberarzt M. ein invasiv duktolo-tubuläres Mammakarzinoms rechts. Am 5. Juni 2003 sei eine Tumorexstirpation sowie am 12. Juni 2003 eine operative Entfernung der rechten Brust mit axillärer Lymphonodektomie Level I bis III durchgeführt worden. Eine Polychemotherapie in sechs Zyklen nach FEC-Schema sei indiziert.
Im Mai 2008 veranlasste der Beklagte ein Überprüfungsverfahren (Nachuntersuchung von Amts wegen), indem er Befundscheine der behandelnden Ärzte der Klägerin einholte. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin L. berichtete am 2. September 2008 neben der bekannten Diagnose über ein Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom. Der Allgemeinzustand der Klägerin sei reduziert. Sie sei leicht ermüdbar und habe Schmerzen im Schultergürtelbereich, dem gesamten rechten Arm sowie der rechten Achselhöhle. Es bestehe eine Lymphstauung bei einer Umfangsdifferenz von einem Zentimeter zur Gegenseite. Die HWS sei in allen Ebenen endgradig eingeschränkt. Im Bereich der Psyche gebe es reaktive psychische Störungen, Angststörungen und Minderwertigkeitsgefühle. Therapeutisch erfolgten manuelle Lymphdrainage mit Physiotherapie.
In Auswertung dieser Befunde schlug Vertragsärztin P. vom Ärztlichen Dienst des Beklagten nach Ablauf der Heilungsbewährung für den Verlust der rechten Brust einen GdB von 30 vor. Das beschriebene Lymphödem sei bei einem Umfang von einem Zentimeter nicht gesondert zu berücksichtigen. Eine psychische Störung sei bei dieser Bewertung des GdB bereits berücksichtigt.
Am 19. Januar 2009 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 30 schriftlich an. Hiergegen wandte sich die Klägerin am 2. Februar 2009 und machte geltend: Die Krebserkrankung habe ihre Körperfunktionen erheblich beeinträchtigt und ihre berufliche Belastbarkeit sowie private Lebensqualität nachhaltig verschlechtert. Aus diesen Gründen habe sie mit ihrem Arbeitgeber auch eine Alterteilzeitvereinbarung getroffen.
Der Beklagte hob mit Bescheid vom 5. März 2009 den Bescheid vom 29. August 2003 auf und stellte ab 1. April 2009 einen GdB von 30 fest. Dagegen legte die Klägerin am 23. März 2009 Widerspruch ein und nahm auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 29. Mai 2009, nunmehr anwaltlich vertreten, Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und ergänzend ausgeführt: Der Beklagte sei auf die geltend gemachten subjektiven Umstände und die erheblichen Funktionseinschränkungen nicht eingegangen. Der pauschale Hinweis auf ein fehlendes Krankheitsrezidiv sei daher unzutreffend.
Das SG hat Befundberichte eingeholt. Der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. L. hat am 22. März 2012 angegeben, es habe bei der Klägerin in den Jahren 2009 bis 2010 Verschlechterungen auf orthopädischem Gebiet gegeben. Ein Lymphödem bestehe nicht. In einem beige...