Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit. Maßgeblichkeit allein der Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten. Unbeachtlichkeit einer festgestellten Erwerbsminderung oder eines Behinderungsgrades. Grundsätze der objektiven Beweislast
Leitsatz (amtlich)
Nicht die Schwere der Erkrankung oder Behinderung, sondern allein die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ist Grundlage der Bestimmung der Pflegebedürftigkeit. Eine festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit oder auch der GdB von 60 sagt nichts darüber aus, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI gegeben sind.
Orientierungssatz
Die Feststellung eines Pflegegrads unterliegt den Grundsätzen der objektiven Beweislast.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach dem Pflegegrad 2 für die Zeit vom 1. April bis 31. August 2019. Seit dem 1. März 2023 bezieht der Kläger Leistungen nach dem Pflegegrad 2 von der Pflegekasse bei der AOK Sachsen-Anhalt, bei welcher er seit dem 1. September 2019 versichert ist.
Der am ... 1966 geborene Kläger bezieht seit 1. Juli 2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ferner ist ab 23. April 2019 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt (1. Seelische Gesundheitsbeeinträchtigung, 2. Schultergelenksprothese links, Bewegungseinschränkung, 3. koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation, Bluthochdruck, 4. Schlafapnoesyndrom, 5. Hörstörung, Tinnitus).
Auf den Antrag des Klägers vom 29. April 2019 auf Leistungen der Pflegeversicherung ließ die Beklagte die Pflegefachkraft K. des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung S. e.V. (MDK) das Gutachten vom 3. Juni 2019 nach Hausbesuch erstatten. Als pflegebegründende Diagnosen benannte die Gutachterin Zustand nach Humeruskopf Endoprothese links und Zustand nach ostheosynthetischer Versorgung einer Jochbeinfraktur links mit Fraktur des Orbitabodens. Als weitere Diagnosen teilte sie arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Tinnitus, Hypercholesterinämie, chronische Rückenschmerzen, Angstschmerzen, Nervenengpasssyndrom Nervus ulnaris linker Ellenbogen 2011 mit. Der Kläger habe Angstzustände und Panikattacken einmal im Monat angegeben. Er wende selbst angeordnete Medikamente an. Es bestehe kein Interventionsbedarf. Der Kläger befinde sich momentan (durch Umzug) in keiner fachärztlichen Behandlung. Die Gutachterin ermittelte eine Summe von 20 gewichteten Punkten (1. Mobilität: 0 Punkte, 2. und 3. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 0 Punkte, 4. Selbstversorgung: 20 Punkte, 5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 0 Punkte, 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 0 Punkte). Sie gelangte zu einer überwiegenden Selbstständigkeit in den Bereichen 4.4.1 Waschen des vorderen Oberkörpers, 4.4.2 Körperpflege im Bereich des Kopfes, 4.4.3 Waschen des Intimbereichs, 4.4.4 Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, 4.4.5 An- und Auskleiden des Oberkörpers, 4.4.6 An- und Auskleiden des Unterkörpers, 4.4.7 mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, 4.4.10 Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls. Die Gutachterin verneinte eine besondere Bedarfskonstellation. Sie gelangte zu der Einschätzung, dass seit 1. April 2019 der Pflegegrad 1 vorliege.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 5. Juni 2019 Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 1 ab dem 1. April 2019.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, seine psychischen Defizite seien nicht berücksichtigt worden. Er fügte einen Befundschein von Dipl.-Psych. R. vom 16. Juni 2014 mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig, und ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung bei. Es bestehe eine ängstliche depressive Grundstimmung, die sich in allen Lebensbereichen auswirke.
Die Beklagte ließ die Pflegefachkraft H. vom MDK das weitere Gutachten vom 14. November 2019 nach Aktenlage erstatteten. Die Gutachterin ermittelte ebenfalls 20 gewichteten Punkte (für 4. Selbstversorgung). Im Modul 3 seien Ängste mangels Interventionsbedarf nicht bewertet worden. Der Kläger wende selbstständig eine Bedarfsmedikation an.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2020 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 22. April 2020 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage gewandt und weiterhin Leistungen nach dem Pflegegrad 2 begehrt. Er hat weiterhin geltend gemacht, dass die Auswirkungen seiner psychiatrischen Erkrankungen nicht berück...