Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtlicher Ausgleich bei strafrechtlicher Rehabilitation: Ermittlung des Grades der Schädigungsfolgen bei einer psychischen Störung nach einem Haftaufenthalt in der DDR. Berücksichtigung einer psychischen Vorerkrankung
Orientierungssatz
1. Leidet ein in der vormaligen DDR infolge des Versuchs einer Republikflucht Inhaftierter, seit der Haft an einer psychischen Störung (hier: schizophrener Residualzustand), so kann dennoch der aufgrund der Störung gegebene Grad der Behinderung nicht vollständig der Haft als Ursache zugeordnet werden, wenn schon vor der Haft vom Vorliegen einer psychischen Störung auszugehen ist, die durch die Haft lediglich verschlimmert wurde. Bei der Beurteilung, ob den Betroffenen im Rahmen der strafrechtlichen Rehabilitation die Schädigungsfolge “psychische Störung„ zuerkannt werden kann, ist auf die Differenz zwischen den vor und nach der Haft jeweils anzunehmenden Graden der Behinderung abzustellen. Die besondere Schädigungsfolge ist dabei nur anzuerkennen, wenn sich eine Differenz in den Graden der Behinderung von 25 ergibt.
2. Fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für ein schädigendes Ereignis während einer Haftzeit, das einen Hörsturz ausgelöst hat, kann ein Ohrensausen und ein späterer Tinnitus infolge eines behaupteten Hörsturzes nicht als negative Folgen einer Strafhaft im Rahmen der strafrechtlichen Rehabilitation anerkannt werden.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. August 2007 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten sind die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und eine Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
Der am ... 1957 geborene Kläger leistete nach dem Abitur den Wehrdienst und begann im Jahre 1978 ein Studium der Meliorationstechnik. Dieses gab er nach wenigen Monaten auf und arbeitete als Kraftfahrer bei der Deutschen Post. Von August 1980 bis Dezember 1985 war er beim Kreisbetrieb für Landtechnik Z. zunächst als Leiter eines Lagerbereichs und dann als Lagerarbeiter beschäftigt. Im Jahre 1983 nahm er mit Erfolg an einer Erwachsenenqualifikation zum Industriekaufmann (Facharbeiterabschluss) teil. Von Januar 1986 bis Juni 1991 war er beim Hydrierwerk R. zunächst als Einkäufer und anschließend als Sachbearbeiter tätig. Danach war er arbeitslos; seit 1992 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Im Oktober 1979 erlitt der Kläger einen Motorradunfall. Nach der Behandlung in der Lungenklinik L. wegen einer respiratorischen Globalinsuffizienz mit einer Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns wurde er am 12. Februar 1980 wegen einer psychotischen Symptomatik in der Nervenklinik der Medizinischen Akademie M. (MAM) weiterbehandelt. In der dortigen Epikrise vom 8. April 1980 waren ein hirndiffuses Psychosyndrom bei Zustand nach hypotoxischer Hirnschädigung sowie eine hochgradige Antriebsminderung und anklingende paranoide Gedanken diagnostiziert worden. Im Elektroenzephalogramm (EEG) hatte sich eine diskrete Funktionsstörung gezeigt. Nach Medikation waren die psychopathologischen Veränderungen rückläufig gewesen. In der Folgezeit fanden zahlreiche ambulante psychiatrische Behandlungen (Poliklinische Abteilung der Nervenklinik der MAM, Neuropsychiatrische Abteilung der Kreispoliklinik Z.), eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung des Klägers durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. sowie vom 2. Mai bis 22. Juni 1981 eine stationäre Behandlung in der Bezirksnervenklinik H. statt. Eine weitere ambulante Vorstellung erfolgte dort im September 1981 aufgrund eines hirndiffusen Psychosyndroms. Im November 1981 erfolgte wiederum eine Behandlung in der Kreispoliklinik Z ... Im Mai 1982 fand eine weitere Fahrtauglichkeitsuntersuchung durch Dr. A. statt. Im Februar 1983 war der Kläger bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Im März 1984 erfolgte eine ambulante Vorstellung des Klägers bei dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) Dr. S. und am gleichen Tag eine weitere Behandlung in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z ... Im April 1984 war der Kläger erneut bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Vom 3. bis 9. Juli 1984 wurde er in der Bezirksnervenklinik H. aufgrund der Verdachtsdiagnose "coenasthetische Schizophrenie" stationär behandelt. Im Befund wurde über Befürchtungen und Ängste mit hypochondrischen Einstellungen, Grübeleien und gedanklicher Einengung, subjektive Klagen über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe unter Belastung, im Gespräch wenig sichtbare Emotionen und Affekte, geringe Mimik und Gestik, Minderung der Konzentrationsfähigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, einen etwas verlangsamten und umstellungserschwerten Gedankengang und ein herabgesetztes Reaktionsvermögen berichtet. In der Epikrise waren ein leichtes hirndiffuses Psychosyndrom sowie eine neu...