Entscheidungsstichwort (Thema)
Kranken- und Pflegeversicherung. Nachforderung von Beiträgen aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Doppelversorgung nach Fehleinschätzung des Versicherungsstatus. Begründung von Versicherungspflicht. Verwirkung bei der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung
Leitsatz (amtlich)
Machen die Betroffenen von den gesetzlich eröffneten Möglichkeiten, eine Doppelversorgung in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung zu verhindern, keinen Gebrauch, so liegt das Risiko einer Fehleinschätzung des Versicherungsstatus bei ihnen. Einer geltend gemachten Nachforderung steht nicht das sog Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzip entgegen, wonach den geschuldeten Beiträgen grundsätzlich Ansprüche auf Leistungen aus dem zugleich begründeten Versicherungsverhältnis gegenüberstehen.
Orientierungssatz
1. Die Begründung der Versicherungspflicht ist allein an die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft. Sie hängt weder von einem Antrag oder einen Aufnahmeakt der Versicherung noch von einer Beitragszahlung ab und tritt ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Versicherten ein.
2. Das Rechtsinstitut der Verwirkung im Recht der Sozialversicherung setzt nicht nur voraus, dass der Berechtigte eine Ausübung seines Rechts der Beitragsforderung während eines längeren Zeitraums unterlassen hat. Vielmehr müssen "weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen". Diese besonderen Umstände setzen ein Verwirkungsverhalten des Berechtigten voraus, das auf einer Vertrauensgrundlage zu einem Vertrauenstatbestand bei der Verpflichteten geführt hat, und diese ihr Verhalten darauf eingerichtet hat (vgl BSG vom 27.7.2011 - B 12 R 16/09 R = BSGE 109, 22 = SozR 4-2400 § 7 Nr 14).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 21. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 11.319,71 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob für den Beigeladenen zu 3., Herrn G. M., Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung sowie Umlagen nachzuzahlen sind.
Der Beigeladene zu 3. war in dem hier streitbefangenen Zeitraum vom 01. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2006 als abhängiger Arbeitnehmer (Planungsingenieur) bei der Klägerin tätig. Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung wurden für ihn nicht entrichtet. Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung hat er in diesem Zeitraum nicht in Anspruch genommen. Er war in dieser Zeit Mitglied einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung.
Nach einer am 11. Oktober 2007 erfolgten Betriebsprüfung erließ die Beklagte den Bescheid vom 30. November 2007, mit dem sie für den Beigeladenen zu 3. für den Zeitraum vom 01. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2006 Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung und Umlagen in Höhe von insgesamt 11.319,71 Euro nachforderte. Zur Begründung gab sie an, dass die Klägerin die Frage der Krankenversicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 3. im Hinblick auf die in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenzen für den genannten Zeitraum unzutreffend beurteilt habe. Der Bescheid ging der Klägerin am 03. Dezember 2007 zu.
Einen gegen diesen Bescheid am 23. Januar 2008 eingelegten Widerspruch wertete die Beklagte - im Einverständnis mit der Klägerin - als Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Zur Begründung gab die Klägerin an, dass sich der Beigeladene zu 3. im streitbefangenen Zeitraum privat krankenversichert habe. Die nachträgliche Beitragsforderung verstoße auch gegen das Äquivalenzprinzip. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. April 2008 ab. Bei Erlass des Bescheides vom 30. November 2007 sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Der Beigeladene zu 3. sei in der Zeit vom 01. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2006 pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung gewesen, da sein regelmäßiges Arbeitsentgelt unterhalb der Jahresentgeltgrenze gelegen habe. Auf einen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip berufe sich die Klägerin zu Unrecht. Den dagegen am 26. Mai 2008 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2008 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 25. September 2008 Klage beim Sozialgericht Stendal (SG) erhoben. Das SG hat mit Beschluss vom 15. April 2009 die K., die Pflegekasse d...