Entscheidungsstichwort (Thema)

Frist zur Stellung eines Antrags nach § 109 SGG - Zurückweisung des Antrags - Rente wegen voller Erwerbsminderung - Pflicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes

 

Orientierungssatz

1. Das Sozialgericht kann einen nach § 109 Abs. 1 SGG gestellten Antrag, einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören, nach Abs. 2 ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtstreits verzögert würde und der Antrag in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

2. Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, ist in der Regel ein Monat zu verstehen.

3. Liegt bei dem Versicherten weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz eines Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würde, so ist der Rentenversicherungsträger nicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes verpflichtet (BSG Urteil vom 11. 12. 2019, B 13 R 7/18 R).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.06.2021; Aktenzeichen B 13 R 284/20 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Der am ... 1961 geborene Kläger schloss nach seiner Schulausbildung (Zehnte-Klasse-Abschluss) Berufsausbildungen zum Landmaschinenschlosser/Getreideproduktion im Jahr 1981 und zum Berufskraftfahrer im Jahr 1984 ab. Als Beifahrer in einem Lkw zog er sich bei einem Auffahrunfall am 22. Juli 2013 schwere Verletzungen mit einem Polytrauma zu, für welche ihm die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) mit Bescheid vom 7. April 2016 Rente auf unbestimmte Zeit für die Verletzungsfolgen im Rahmen eines Arbeitsunfalls mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. bewilligte. Im Übrigen erhält der Kläger eine Unfallrente von der Versicherung AG. Das letzte Arbeitsverhältnis als Möbelmonteur und Kraftfahrer ruht nach Angaben des Klägers. Bis zum 17. April 2016 bezog der Kläger Arbeitslosengeld mit hierfür im Versicherungsverlauf berücksichtigten Pflichtbeiträgen. Der Kläger hat nach seinen Angaben maximal drei Stunden täglich von Montag bis Freitag seine in demselben Haus wohnende Schwiegermutter, für die der Pflegegrad 5 festgestellt ist, gepflegt, diese Aufgabe inzwischen aber abgegeben. Im Versicherungsverlauf des Klägers vom 20. Oktober 2020 sind vom 1. November 2017 bis zum 9. Juni 2020 Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeit gespeichert.

Der Kläger verfügt über eine Fahrerlaubnis, ist im Besitz eines Pkw und fährt nach den von dem gerichtlichen Sachverständigen W. unter dem 29. September 2020 wiedergegebenen Angaben nur noch „kurze Strecken“ von höchstens einer Stunde bis zwei Stunden, nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur circa zweimal wöchentlich für Arztbesuche oder Einkäufe. Bei dem Kläger wurde mit Bescheid vom 15. Juli 2014 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 (ohne Merkzeichen) anerkannt.

Der Kläger beantragte am 18. August 2014 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog diverse Befundunterlagen bei, u.a. den von der Fachärztin für Augenheilkunde T. für das Landesverwaltungsamt erstellten Befundbericht nach der letzten Untersuchung des Klägers dort am 5. Dezember 2013. Dem Bericht ist zu entnehmen, der Visus des Klägers mit optimaler Korrektur betrage binocular 1,0 (rechts 1,0, links mit einer Verschlechterung zwischen den Untersuchungen vom 26. November zum 5. Dezember 2013 von 0,8 auf 0,6). Links liege eine beginnende partielle Optikusatrophie vor. Dem Arztbrief dieser Ärztin vom 14. Januar 2014 ist ein von dem Kläger durchgeführtes „Gesichtsfeldtraining“ zu entnehmen.

Die Beklagte holte das Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Medizinalrat (MR) A1. vom 10. November 2014 ein, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 5. November 2014 erstellt wurde. Als Diagnosen lägen bei dem Kläger eine fibröse Steife (sekundäre Steife) des rechten Handgelenks mit Einschränkung insbesondere der Palmarflexion, eine aufgehobene Pro- und Supination in Mittelstellung im Bereich des rechten Ellenbogens bei freier Beugung und Streckung nach Verknöcherung der Membrana interossa zwischen proximaler Ulna und proximalem Radius, ein Impingementsyndrom im Bereich der rechten Schulter, eine fibröse Teilsteife des rechten Kniegelenks mit massiver Einschränkung der Kniebeugung bei jetzt aufgetretener sekundärer Arthrose im Bereich des Retropatellargelenkes und beginnend auch des medialen und lateralen Kompartments des rechten Kniegelenks, eine Dysaesthesie im Bereich der Streckseite des rechten Fußes, multiple Narben im Bere...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge