Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Zahnarztbehandlung. ärztlicher Kunstfehler. Heilauftrag. keine feindselige Willensrichtung. Bewilligung durch Krankenkassenmitarbeiter keine unmittelbare Gewaltanwendung. Tätlicher Angriff
Leitsatz (amtlich)
Versorgungsleistungen nach dem OEG wegen einer zahnärztlichen bzw krankenhausärztlichen Behandlung setzen einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus. Ein Anspruch wegen vermeintlicher Kunstfehler kommt nicht in Betracht, wenn die Behandlungen vom Heilauftrag der behandelnden Ärzte geprägt waren. Ein tätlicher Angriff durch die Mitarbeiter einer Krankenkasse durch eine Bewilligung und Kostenübernahme von Leistungen scheidet aus, weil diese dadurch keine unmittelbare Gewalt angewendet haben.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist eine Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die am ... 1948 geborene Klägerin beantragte am 13. Mai 2011 (Eingang beim Beklagten am 16. Mai 2011), alle körperlichen Gesundheitsschäden festzustellen und zu entschädigen, die ihr durch eine zahnärztliche Behandlung (Brückenversorgung) im Jahr 2001 entstanden seien. Die Tathandlung sei die Pflichtverletzung der Krankenversicherung (KKH-A. H.) bei der Bearbeitung ihres Antrags auf Versorgung mit dem Zahnersatz. Für die Bewilligung und Kostenübernahme habe es keinen Grund gegeben, weil die wirtschaftliche und medizinische Notwendigkeit für die Brückenversorgung nicht geklärt gewesen sei. Insbesondere habe kein medizinisches Gutachten vorgelegen. Auch die Zahnärztin Dr. L. habe eine Pflichtverletzung begangen, weil sie vor dem Einsatz der Brücke im rechten Unterkiefer nicht beraten und über mögliche Risiken aufgeklärt habe, so dass sie keine Wahlmöglichkeit gehabt habe. Außerdem beantragte die Klägerin die Feststellung und Entschädigung der Gesundheitsschäden, die ihr während einer Krankenhausbehandlung im Klinikum M.-Q. durch die Verabreichung des Medikamentes Bayotensin am 2. Dezember 2004 entstanden seien. Durch die erzwungene Einnahme hätten sich ihre vorbestehenden Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen verschlimmert. Wegen dieser ärztlichen Behandlungen erstattete die Klägerin keine Strafanzeigen.
Nach dem Befund der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 12. April 2005 leidet die Klägerin an einer schweren neurotischen Fehlentwicklung und nach dem Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 20. September 2005 an einer chronifizierten wahnhaften Störung.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 OEG, insbesondere die des Vorsatzes und des tätlichen Angriffs, nicht nachgewiesen seien. Aus den Schilderungen der Klägerin im Antrag lasse sich nicht schließen, dass die damals behandelnde Zahnärztin sowie die behandelnden Klinikärzte vorsätzlich einen feindseligen Angriff auf die Klägerin und ihre körperliche Unversehrtheit ausgeführt hätten.
Dagegen legte die Klägerin am 21. November 2011 Widerspruch und trug vor: Die Bewilligung der zahnärztlichen Leistung ohne medizinisches Gutachten und ohne Aufklärung durch die Krankenkasse sei eine wissentliche Rechtsverletzung und eine, wenn nicht sogar fahrlässige Entscheidung über einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Den Eingriff habe die Zahnärztin Dr. L. lediglich ausgeführt. Ohne die Bewilligung und Befürwortung des Antrags durch die Krankenversicherung wäre es dazu nicht gekommen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechtes müsse die Krankenkasse dafür einstehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2011 (richtig: 2012) wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Es fehle an der Feindseligkeit der Behandlungsmaßnahmen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die behandelnde Zahnärztin und die Ärzte im Klinikum in feindseliger Absicht gehandelt hätten und sie willentlich in ihrer Gesundheit hätten schädigen wollen. Allein eine fahrlässige Handlungsweise erfülle nicht den Tatbestand eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs.
Dagegen hat die Klägerin am 19. Januar 2012 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und zur Unterstützung ihres Vortrags zahlreiche medizinische Behandlungsunterlagen vorgelegt. Außerdem bezieht sie sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 2010 im Verfahren B 9 VG 1/09 R.
Mit Urteil vom 10. Juli 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein ärztlicher Angriff sei nur dann als vorsätzlicher, tätlicher rechtswidriger Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG anzusehen, wenn dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist (BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R). Außerdem sei auch nicht jeder ärztliche Eingriff, der eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung ...