Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Unterkunftsbedarf. Berücksichtigung von Finanzierungskosten für ein selbst genutztes Eigenheim. Schuldzinsen. unvermeidbare Nebenkosten. Gebühren und Auslagen. Übernahme von Tilgungsleistungen nur im Ausnahmefall. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Bezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit. Abzug des Erwerbstätigenfreibetrags. Absetzung der mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben. Mitgliedsbeiträge zur Gewerkschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gehören bei selbstbewohnten Eigenheimen auch die Finanzierungskosten - wie die Schuldzinsen für ein Darlehen und sonstige Gebühren oder Auslagen, die das finanzierende Institut (Bank, Bausparkasse) erhebt und denen der SGB II-Leistungsbezieher nicht entgehen kann (bejaht bei Kontoführungsgebühren; verneint bei Gebühren, die durch verspätete Ratenzahlung verursacht sind).
2. Dem Bezieher einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit steht kein Erwerbstätigenfreibetrag zu, wenn er nicht erwerbstätig ist. Allerdings sind die von ihm entrichteten Mitgliedsbeiträge zur Gewerkschaft als notwendige Ausgaben gemäß § 11b Abs 1 Nr 5 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Diese sind zwar nach einem strengen Verständnis nicht mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben. Indes liegt eine notwendige Verbundenheit auch dann vor, wenn (vorübergehend) Entgeltersatzleistungen bezogen werden (vgl BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 180/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 40 = juris RdNr 28 ff). Der Bezug einer befristeten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist dem wertungsmäßig gleichzustellen, denn sie bedeutet kein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.
3. Tilgungsleistungen sind auch bei einem weitgehenden Abschluss der Eigenheimfinanzierung (hier: 80 %) nur im Ausnahmefall zu übernehmen, wenn ohne diese Übernahme nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Gefahr des Wohnungsverlustes besteht (hier verneint).
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. März 2019 wird geändert und wie folgt neugefasst:
Die Bescheide vom 24. Mai, 10. August und 29. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2016 und die Änderungsbescheide vom 26. November 2016, 15. Februar, 22. und 28. März sowie 4. April 2017 werden geändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin weitere Leistungen in Höhe von 8,94 € für Juli 2016, 9,09 € monatlich im Zeitraum von August bis Dezember 2016, 7,50 € für Januar 2017, 35,29 € für Februar 2017, 7,96 € für März 2017, 7,50 € für April 2017 und 7,49 € für Mai 2017 zu bewilligen.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. April 2017 wird aufgehoben, soweit er den Monat Februar 2017 betrifft und für Juli 2016 mehr als 2,72 €, für die Monate August bis Dezember 2016 mehr als 2,57 € monatlich und für Januar 2017 mehr als 4,16 € zurückverlangt werden und die Erstattung insgesamt mehr als 19,73 € beträgt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2017.
Die 1960 geborene Klägerin und ihr 1956 geborener Ehemann, der Kläger des Parallelverfahrens L 4 AS 224/19 ist, beziehen als Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten und Berufungsbeklagten (nachfolgend: Beklagter) seit 2005 ergänzende SGB II-Leistungen. Die Eheleute bewohnen gemeinsam ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von ca. 100 m² in G., einem Ortsteil der Stadt J., (Grundstücksgröße 1.500 m²). Das Haus ist mit einer Ölzentralheizung ausgestattet, die auch Warmwasser bereitet. Der Ehemann erhält eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und ist - wie die Klägerin - nicht erwerbstätig.
Zur Finanzierung des Eigenheims hatten die Klägerin und ihr Ehemann zwei Bauspardarlehen aufgenommen. Das Darlehen mit der Nr. xxx401 über 17.167,85 € ist seit März 2016 getilgt. Für das Darlehen mit der Nr. xxx403 über 17.600 € waren monatliche Raten von 106,39 € zu zahlen. Zum Jahresende 2015 waren noch 6.709,01 € und zum Jahresende 2016 noch 5.816,67 € zu tilgen. Im Jahr 2016 betrugen die gezahlten Zinsen 288,53 € und die Gebühren 9,48 €. Weiter fielen von der Bausparkasse erhobene Gebühren von 8 € für die Bearbeitung eines Einzugsrücklaufs, 61,83 € für „Problemkreditbearbeitung“ und 21,50 € für „Notariats- und Gerichtskosten“ an. Im Jahr 2017 zahlten die Eheleute Gesamtzinsen von 244,08 € sowie eine Kontogebühr von 9,48 €.
Im Oktober 2016 und April 2017 waren Gebühren für die Abfallentsorgung von jeweils 28,10 € zu zahlen. Aufwendungen für Frischwasser und Abwasser fielen in den streitigen Zeiträumen nicht an, da der Abwasserz...