Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbeschädigtenrecht: Bildung des Grades der Behinderung bei einem Darmkrebsleiden. Dauer der Heilungsbewährung, Anpassung des Grades der Behinderung nach Ablauf der Heilungsbewährung. Verlängerung der Heilungsbewährungszeit beim Risiko eines Rezidivs
Orientierungssatz
1. Bei einer Totalentfernung des Dickdarms infolge eines Darmkarzinoms ist der Ansatz einer Heilungsbewährungszeit von fünf Jahren gerechtfertigt. In dieser Zeit ist der Ansatz des höchsten Behinderungsgrades auch unabhängig vom Vorliegen konkreter, funktioneller Einschränkungen gerechtfertigt. Nach Ablauf dieser Heilungsbewährungszeit ist der Grad der Behinderung dann nach den tatsächlich vorliegenden Funktionsstörungen vorzunehmen und die vormalige Festsetzung aufgrund des Vorliegens einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse anzupassen.
2. Allein ein hohes Risiko, nach einer Krebserkrankung (hier: Darmkarzinom) an einem Rezidiv zu erkranken, führt nicht dazu, die Heilungsbewährungszeit zu verlängern.
3. Bei gutem Ernährungs- und Kräftezustandes eines Patienten ist nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nach Entfernung des Dickdarms infolge eines Karzinoms der Ansatz eines Grades der Behinderung von 40 jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn ein Durchfallleiden regelmäßig zu einer Störung der Nachruhe führt.
4. Einzelfall zur Anpassung des Grades der Behinderung nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit bei einem Dickdarmkarzinom.
Tenor
Der Gerichtsbescheid vom 16. März 2009 und der Bescheid vom 6. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2007 werden aufgehoben, soweit darin ein GdB von weniger als 40 festgestellt worden ist.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte wegen einer Heilungsbewährung zu Recht die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 entzogen und den GdB auf 20 festgesetzt hat.
Auf Antrag der am ... 1956 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 2001 einen Gesamt-GdB von 80 fest und begründete dies mit dem Teilverlust des Dickdarms nach einer Krebserkrankung sowie einer degenerativen Funktionsminderung der Wirbelsäule. Diesem Bescheid gingen Ermittlungen des Beklagten voraus. Hiernach befand sich die Klägerin wegen eines Sigmakarzinoms sowie einer Lymphknotenmetastasierung vom 14. April 2001 bis 8. Oktober 2001 im Diakoniekrankenhaus Seehausen in stationärer Behandlung. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. diagnostizierte im November 2001 bei der Klägerin eine Cervicobrachialgie links mit ausgeprägter Funktionsstörung, eine Periarthropathia sowie ein Lumbalsyndrom und eine Chondropathia Patella rechts. Der Versorgungsarzt Dipl.-Med. K. wertete am 30. November 2001 diese Befunde aus und bewertete den Teilverlust des Dickdarms im Stadium der Heilungsbewährung mit einem Einzel - GdB von 80 und die Funktionsminderung der Wirbelsäule mit einem Einzel - GdB von 10 und sprach sich zusammenfassend für einen Gesamt - GdB von 80 aus.
Im Oktober 2006 führte der Beklagte medizinische Ermittlungen durch. Nach dem Befundbericht vom 8. November 2006 (Facharzt für Chirurgie Dr. N., Universitätsklinik M.) bestehe bei der Klägerin aktuell kein Krebsrezidiv. Mit Schreiben vom 15. Februar 2007 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 10 an. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 4. März 2007 und machte geltend: Sie leide am Tage zwischen sechs bis zehnmal und nachts zwischen zwei bis viermal an Durchfällen. Sie fühle sich an vielen Tagen körperlich schwach und könne die Dinge des täglichen Ablaufs nicht mehr genügend bewältigen. Am 26. Februar 2007 habe sie sich einer Kontrolluntersuchung im Universitätsklinikum M. unterziehen müssen. Bei ihr seien zwei Polypen am Dickdarm von der Größe eines Kirschsteins entfernt worden. Bei ihrer Erkrankung handele es sich um eine Generkrankung, die sie bis zu ihrem Lebensende begleiten werde. Der Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 23. März 2007 ein. Zeitweise sei eine depressive Verstimmung aufgetreten. Die Häufigkeit der Stuhlgänge sei unauffällig. Mit Bescheid vom 6. Juni 2007 hob der Beklagte den Bescheid vom 7. Dezember 2001 auf und stellte ab dem 1. Juli 2007 einen GdB von 20 fest. Hiergegen legte die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin am 28. Juni 2007 Widerspruch ein und machte ergänzend geltend: Ihr sei am 15. Oktober 2002 in einer zweiten Operation in der Universitätsklinik M. der gesamte Dickdarm entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Danach seien weitere Operationen erforderlich geworden. Wegen der erheblichen Beeinträchtigung und der vollständigen Entfernung des Dickdarms sowie der damit verbundenen Einschränkungen sei der festgestellte GdB von 20 zu gering bewertet. Am 27. ...