Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Ermittlung des Grades der Behinderung. Herabsetzung des GdB wegen Heilungsbewährung nach Krebserkrankung. GdB für eine chronische Darmstörung
Orientierungssatz
1. Wurde ein Grad der Behinderung (GdB) aufgrund einer akuten Krebserkrankung (hier: Dickdarmkrebs) festgestellt, so ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegeben und damit eine Anpassung des GdB durch Verringerung vorzunehmen, wenn fünf Jahre nach Feststellung der Krebserkrankung ein rezidivfreier Ablauf festgestellt werden kann. Bei der Neufestsetzung ist dann lediglich noch auf die tatsächliche Funktionsbeeinträchtigung als Auswirkung der Krebserkrankung abzustellen.
2. Einzelfall zur Feststellung eines GdB wegen einer chronischen Darmstörung nach Ablauf der Heilungsbewährung einer durchlittenen Krebserkrankung (hier: GdB von 40 festgesetzt).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 26. Juni 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).
Der 1953 geborene Kläger beantragte am 22. Juni 2000 die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund eines Krebsgeschwulstes im Dickdarm. Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht der Hausärztin Dr. B. vom 14. November 2000 bei, welche über eine Rektumresektion im September 2000 und eine erheblich reduzierte Belastbarkeit berichte.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2001 stellte der Beklagte einen GdB von 80 fest. Die Gültigkeit des auszustellenden Ausweises wurde bis Mai 2006 befristet. Als Behinderung wurde eine Enddarmerkrankung berücksichtigt, bei welcher zunächst die weitere Stabilisierung abzuwarten sei (Heilungsbewährung). Es erfolgte ein Hinweis, dass im Anschluss an die Heilungsbewährung der GdB ausschließlich nach den noch verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen zu bemessen sei.
Mit Befundbericht vom 10. Oktober 2005 teilte die behandelnde Internistin Dr. Br. mit, dass klinisch und paraklinisch im April 2005 kein Anhalt für ein Rezidiv der Erkrankung bestanden habe, es bestehe eine intermittierende Stuhlinkontinenz, hinsichtlich der Sekundärschäden nach Therapie erfolge eine Verlaufskontrolle. Laut Arztbrief an die Hausärztin vom 21. April 2005 habe ein Zustand nach ultratiefer, intrasphintärer Rectumresektion mit koloanaler Anastomose, Zustand nach adjuvanter Chemotherapie bis 02/01 und Rückverlagerung Anus praeter 03/01 bestanden. Das subjektive Befinden sei gut, Gewichtszunahme von 2 kg. Der Eisen- und Vitaminspiegel sei normwertig. Sonographisch sei eine Leberzyste beschrieben.
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 5. November 2005 bewertete Dr. G. die Afterschließmuskelschwäche und den Enddarmverlust mit einem GdB von 30. Die ebenfalls berichtete Leberzyste stelle keine Behinderung dar.
Am 16. November 2005 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Neufeststellung des GdB auf 30 an.
Der Kläger teilte daraufhin am 4. Dezember 2005 mit, dass es sich bei ihm nicht nur um eine leichte Beeinträchtigung handele, nach eingenommener Mahlzeit könne er sich nicht mehr aus der Nähe einer Toilette entfernen. Weder der Zeitpunkt noch die Dauer der Stuhlentleerung könnten von ihm beeinflusst werden. Man müsse daher von einer fast fehlenden Funktion des Schließmuskels sprechen. Es habe bei der Operation eine Naht im Schließmuskel gelegt werden müssen. Außerdem sei der Dünndarm beschädigt. Er könne nur abends eine Mahlzeit zu sich nehmen und müsse sich anschließend in der Wohnung aufhalten. Würde er mehrere Mahlzeiten am Tag einnehmen, könnte er die Wohnung gar nicht mehr verlassen. Des Weiteren könne er nur wenige Lebensmittel zu sich nehmen, nur so sei es ihm möglich, die Stuhlentleerungen auf ca. zweimal pro Nacht für 30 bis 50 min zu beschränken. Außerdem müsse er zur ausreichenden Reinigung jeweils duschen. So gesehen hätten sich kaum Verbesserungen seit der Zeit nach der Operation ergeben. Nur aufgrund des beschriebenen Lebensrhythmus könne er seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter nachgehen bzw. tagsüber am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Mit daraufhin eingeholtem weiterem Befundbericht vom 14. Dezember 2005 teilte Frau Dr. Br. mit, dass der Kläger vordergründig lediglich angegeben habe, dass er noch ab und an “Probleme„ mit dem Stuhlgang habe, über eine Funktionsstörung in dem Sinne habe er ihr nicht berichtet. Die Coloskopie sei bis auf eine diskrete Rötung unauffällig gewesen.
Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. W. dahingehend, dass die vom Kläger geltend gemachten schweren Stuhlgangsprobleme ärztlicherseits nicht bestätigt werden würden, hob der Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2006 den Bescheid vom 30. Januar 2001 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) insoweit auf, als nunmehr ein Grad der Behinderung von 30 festzustellen sei. Als Behinderungen wurden die Afterschließmuskelschwäche und der Enddarmverlust...