Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch gegen die Krankenkasse auf Kostenübernahme für ein experimentelles Therapieverfahren (ASI-Therapie)
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für die Herstellung einer autologen Tumorvakzine durch die Firma macropharm GmbH in L. in Höhe von 12.420,00 DM zuzüglich Zinsen zu erstatten hat.
Der am ... geborene Kläger war bis zum 31. Oktober 1995 bei der Beklagten versichert. Am 27. Februar 1995 wurde er in der urologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses E. von ... wegen eines Nierenkarzinoms der linken Niere operiert. Mit am 14. März 1995 bei der Beklagten eingegangenem "Kostenübernahmeantrag" vom 13. März 1995, den auch der Kläger unterzeichnet hat, beantragte ... die Übernahme der Herstellungskosten für die Aktiv-Spezifische-Immuntherapie (ASI) in Höhe von 12.420,00 DM zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer. Dabei handele es sich um einen individuellen Heilversuch, bei dem die zur intrakutanen Applikation vorgesehene Autologe-Tumorvakzine aus den patienteneigenen Tumorzellen hergestellt werde. Mit der Herstellung sei die Firma macropharm GmbH in L. beauftragt worden. Der Therapieversuch sei angesichts des fortgeschrittenen Tumorstadiums zu empfehlen.
Dr. ... vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) beschrieb im Gutachten vom 12. Mai 1995 die Behandlung mit der autologen Tumorvakzine als ein bisher nicht gesichertes Therapieverfahren, dessen Einsatz nur im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien gerechtfertigt sei. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenkasse seien daher nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 17. Mai 1995 und Widerspruchsbescheid vom 02. August 1995 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme aus den im Gutachten von genannten Gründen ab.
Mit der am 13. September 1995 bei dem Sozialgericht Halle (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Auch wenn die Behandlung mit autologer Tumorvakzine noch keine schulmedizinisch anerkannte Therapieform darstelle, dürfe nicht übersehen werden, daß sie zunehmend Anhänger finde und inzwischen an zahlreichen Kliniken in Deutschland durchgeführt werde. Es stehe fest, daß durch diese Behandlung die Lebenserwartung von Patienten erheblich verlängert werden könne. Bei dem autologen Tumorimpfstoff auf der Grundlage von Zellmaterial eines bestimmten Menschen handele es sich um einen Stoff, der zur Anwendung ausschließlich bei diesem und keinem anderen bestimmt sei. Deshalb sie eine Übertragung der Erkenntnisse über den Einzelfall hinaus nicht möglich, weil es sich bei der autologen Tumorvakzine um kein klinisch prüfbares Arzneimittel handele, auch wenn die Herstellung nach standardisierten Herstellungs- und validierten Prüfungsvorschriften erfolge.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger auch auf die Stellungnahme des Fachpharmakologen ... vom 18. Dezember 1995 hingewiesen, der die therapeutische Anwendung der autologen Tumorvakzine aufgrund des Ergebnisses der Beobachtung von 116 behandelten und 106 unbehandelten Patienten im Prüfzentrum des Städtischen Klinikums St. G. in L. als sicher bezeichnet. Der Unterschied zwischen der behandelten und der unbehandelten Patientengruppe sei statistisch hochsignifikant. Zu Recht habe das Sozialgericht Hildesheim (Urteil vom 27. September 1995, Az.: S 2 KR 63/94) entschieden, daß bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen ein Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse schon dann zuerkannt werden müsse, wenn zwar die Erprobung einer Behandlungsmethode noch nicht abgeschlossen ist, aber über die Qualität und Wirkungsweise zumindest vorläufig Aussagen gemacht werden können, die für einen Behandlungserfolg sprechen und ihn wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, daß bei der ASI-Therapie gesundheitliche Risiken, wie das Ausbilden neuer Metastasen im Körper des Patienten nicht sicher ausgeschlossen werden könnten. Diese Therapie befinde sich weder in einer experimentellen Phase noch könne von klinischer Forschung gesprochen werden. Neue, nicht ausreichend erprobte Verfahren, lösten aber eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht aus.
Das SG hat von ... den Befundbericht vom 24. Mai 1996 (Bl. 61 ff. der Gerichtsakte) eingeholt, worin der Arzt u. a. erläutert, daß die schulmedizinische Behandlung der fortgeschrittenen Krebserkrankung des Klägers wirkungslos bleiben würde. Als ultima ratio sei die ASI-Therapie deshalb geboten. Ferner hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines fachurologischen Gutachtens vom 30. Dezember 1996 von ... von der M. Universität H. Nach dessen Feststellungen werde seit langem versucht, mit Hilfe einer Immuntherapie Krebserkrankungen unter Kontrolle zu bringen. Seit etwa 20 Jahren würde eine aktive Immunisierung (im Gegensatz zur passiven Immuntherapie) mit Tumorzellen versucht. Für das Nierenzellkarzinom sowie für Hauttumore und einige weitere Tumore seien klinische Besserungen beobachtet worden. Die...