Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen Bl. Sehschärfe von 1/50. gleichzuachtende Störung des Sehvermögens. sozialgerichtliches Verfahren. Beweiswert eines vereinzelten Gutachtens nach § 109 SGG. Untersuchungsmaxime. Blindheit. Gesichtsfeldeinschränkung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei gleichbleibenden augenärztlichen Befunden und mehreren gerichtlichen Gutachten, nach denen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens Bl nicht vorliegen, sind keine weiteren Ermittlungen angezeigt, wenn ein Gutachter nach § 109 SGG einmalig eine schlechtere Sehleistung feststellt, ohne diese Abweichung medizinisch zu begründen. Augenärztlichen Befunden im Rahmen eines Gutachtens nach § 109 SGG, die sich im Wesentlichen auf die Angaben und das Verhalten eines Prozessbeteiligten bei der Untersuchung stützen, kommt ohne zusätzliche objektive und nachvollziehbare Feststellungen kein ausreichender Beweiswert zu.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 1, 4; SGB XII § 72 Abs. 5

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist das Merkzeichen Bl (blind) streitig.

Die am ... 1950 geborene Klägerin (damals wohnhaft: ...) beantragte am 25. Juni 2007 beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt (im Folgenden: Landesverwaltungsamt) die Feststellung von Behinderungen sowie das Merkzeichen Bl. Das Landesverwaltungsamt holte einen Befund des Facharztes für Allgemeinmedizin I. vom 3. Juli 2007 ein, der ein Glaukom mit erheblicher Linseneinschränkung und eine psychosomatische Störung diagnostizierte. Außerdem holte das Landesverwaltungsamt den Befundschein der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. K. vom 8. Juli 2007 ein. Unter den Diagnosen "chronisches Glaucoma simplex, Zustand nach Glaukom-OP rechts (2005), Pseudophakie (HKL) rechts OP (Dezember 2006)" sowie "links OP (Juli 2007)" gab diese den Visus rechts LPF und links mit sc 0,16 - 075s - 1,5c 165 = 0,4 an. Die Augenärztin übersandte außerdem eine Gesichtsfelduntersuchung vom 5. Juli 2007 und teilte am 11. September 2007 mit, der Gesichtsfeldausfall sei durch die Glaukompapille erklärbar.

Nach Beteiligung der ärztlichen Gutachterin S. stellte das Landesverwaltungsamt bei der Klägerin mit Bescheid vom 3. Januar 2008 ab 25. Juni 2007 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen B, G, RF und H fest. Die Feststellung der Merkzeichen aG und Bl lehnte es ab.

Am 4. Januar 2008 gab die Klägerin eine wesentliche Verschlechterung ihres Augenleidens an und legte zur Glaubhaftmachung einen Arztbrief des Städtischen Klinikums D. über einen stationären Aufenthalt vom 18. bis 21. Dezember 2007 vor. Darin diagnostizierte Privatdozent (PD) Dr. F. neben den bekannten Diagnosen eine Amblyopie (rechts) und ein primär chronisches Offenwinkelglaukom mit Flintenrohrgesichtsfeld (links). Der Visus sei rechts mit Lux +, projectio falsa und links mit 0,3 zu bewerten. Außerdem lagen dem Landesverwaltungsamt aus dem Verfahren der Klägerin über die Gewährung von Landesblindengeld weitere Unterlagen vor. Mit Befundschein vom 14. März 2008 wies Dr. K. darauf hin, dass die Gesichtsfeldeinschränkung durch die glaukomatöse Opticusschädigung bedingt sei. Im Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde Dr. M. vom 13. Februar 2008 (Untersuchung vom selben Tage), das dieser auf Veranlassung der Deutschen Rentenversicherung Bund erstattet hatte, führte dieser aus: Auf der rechten Augenseite könne die Klägerin lediglich Licht erkennen, wobei die Einfallsrichtung fehlerhaft angegeben worden sei. Die Gesichtsfeldprüfung rechts habe keine verwertbaren Angaben ergeben. Linksäugig betrage der Visus 0,3. Die Projektionsperimetrie ergebe als Befund eine Marke III/4 (durchschnittliches Gesichtsfeld zentral 8° bei "nasalem Sprung") und Marke V/4 (durchschnittlicher Rest von 11° bis 12°). Im Parallelversuch hätten sich massive Gesichtsfeldausfälle bestätigt. Der Gutachter diagnostizierte außerhalb seines Fachgebiets einen arteriellen Bluthochdruck und psychovegetative Störungen bei drohender Erblindung. Zusammenfassend liege eine hochgradige Sehbehinderung mit schlechter Prognose vor. Das Landesverwaltungsamt ließ diese Befunde durch den Versorgungsarzt MR Dr. S. unter dem 28. Mai 2008 auswerten, der hierzu ausführte: Der Visus auf dem linken Auge betrage 0,3 bei einem Gesichtsfeld von ca. 8°. Es sei daher von einer hochgradigen Sehbehinderung auszugehen.

Mit Bescheid vom 29. Mai 2008 lehnte das Landesverwaltungsamt eine Neufeststellung ab, da die Voraussetzungen für die Feststellungen des Merkzeichens Bl nicht vorlägen. Dagegen legte die Klägerin am 19. Juni 2008 Widerspruch und verwies auf das Gutachten des Dr. M. Danach sei die Sehkraft derart vermindert, dass sie einer Blinden gleichzusetzen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2008 wies das Landesverwaltungsamt den Widerspruch der Klägerin zurück.

Am 5. September 2008 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhoben und zur Begründung ...

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